PAPST FRANZISKUS
GENERALAUDIENZ
Damasus-Hof
Mittwoch, 16. September 2020
Katechese - „Die Welt heilen“: 7. Die Sorge um das gemeinsame Haus und die kontemplative Haltung
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Um aus einer Pandemie herauszukommen, muss man für sich selbst und füreinander Sorge tragen. Und man muss jene unterstützen, die für schwache, kranke und alte Menschen Sorge tragen. Es gibt die Gewohnheit, die alten Menschen zu vernachlässigen, allein zu lassen: Das ist schlimm. Diese Menschen – eine gute Bezeichnung für sie ist der spanische Begriff »cuidadores«: jene, die für die Kranken Sorge tragen – spielen in der heutigen Gesellschaft eine wesentliche Rolle, auch wenn sie oft nicht die Anerkennung und den Lohn erhalten, die sie verdienen. Das Sorgetragen ist eine goldene Regel unseres Menschseins, und es bringt Gesundheit und Hoffnung mit sich (vgl. Enzyklika Laudato si’ [LS], 70). Sorge zu tragen für jene, die krank sind, die in Not sind, die vernachlässigt werden: Das ist ein menschlicher und auch christlicher Reichtum. Diese Sorge müssen wir auch unserem gemeinsamen Haus angedeihen lassen: der Erde und jedem Geschöpf. Alle Formen des Lebens sind miteinander verbunden (vgl. ebd., 137-138), und unsere Gesundheit hängt von der Gesundheit der Ökosysteme ab, die Gott geschaffen hat und die zu hüten er uns aufgetragen hat (vgl. Gen 2,15). Sie auszubeuten ist dagegen eine schwere Sünde, die zerstört, die Schaden zufügt und krank macht (vgl. LS, 8; 66).
Das beste Gegenmittel gegen diesen Missbrauch unseres gemeinsamen Hauses ist die kontemplative Betrachtung (vgl. ebd., 85; 214). Aber wieso? Gibt es keinen Impfstoff dafür, für die Sorge um das gemeinsame Haus, um es nicht zu vernachlässigen? Was ist das Gegenmittel gegen die Krankheit, für das gemeinsame Haus nicht Sorge zu tragen? Es ist die kontemplative Betrachtung. »Wenn jemand nicht lernt innezuhalten, um das Schöne wahrzunehmen und zu würdigen, ist es nicht verwunderlich, dass sich für ihn alles in einen Gegenstand verwandelt, den er gebrauchen oder skrupellos missbrauchen kann« (ebd., 215). Auch in einen »Wegwerfgegenstand«. Unser gemeinsames Haus, die Schöpfung, ist jedoch nicht nur eine reine »Ressource«. Die Geschöpfe haben einen Wert an sich und »spiegeln in ihrem gottgewollten Eigensein, jedes auf seine Art, einen Strahl der unendlichen Weisheit und Güte Gottes wider« (Katechismus der Katholischen Kirche, 339). Dieser Wert und dieser göttliche Lichtstrahl muss entdeckt werden, und um ihn zu entdecken, müssen wir schweigen, müssen wir hören, müssen wir kontemplativ betrachten. Auch die Kontemplation heilt die Seele.
Ohne Kontemplation gerät man leicht in einen unausgewogenen und hochmütigen Anthropozentrismus, der unsere Rolle als Menschen überdimensioniert und uns als absolute Herrscher über alle anderen Geschöpfe positioniert. Eine verzerrte Auslegung der biblischen Texte über die Schöpfung hat beigetragen zu diesem falschen Blick, der dazu führt, die Erde bis zum Ersticken auszubeuten. Die Schöpfung auszubeuten: Das ist die Sünde. Wir glauben, im Mittelpunkt zu stehen, maßen uns an, Gottes Platz einzunehmen, und zerstören so die Harmonie der Schöpfung, die Harmonie des Planes Gottes. Wir werden zu Räubern und vergessen unsere Berufung als Hüter des Lebens. Gewiss können und müssen wir die Erde bearbeiten, um zu leben und uns zu entwickeln. Die Arbeit ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Ausbeutung, und sie ist stets von Fürsorge begleitet: pflügen und schützen, bearbeiten und Sorge tragen… Das ist unsere Sendung (vgl. Gen 2,15).
Wir können nicht den Anspruch erheben, auf materieller Ebene weiter zu wachsen, ohne Sorge zu tragen für das gemeinsame Haus, das uns aufnimmt. Unsere ärmeren Geschwister und unsere Mutter Erde seufzen aufgrund des Schadens und der Ungerechtigkeit, die wir hervorgerufen haben, und fordern einen anderen Kurs. Sie fordern von uns eine Umkehr, eine Wegänderung: Sorge zu tragen auch für die Erde, die Schöpfung. Es ist daher wichtig, die kontemplative Dimension zurückzuerlangen, also die Erde, die Schöpfung als Geschenk zu betrachten und nicht als etwas, das für den Profit ausgebeutet werden kann. Durch die kontemplative Betrachtung entdecken wir in den anderen und in der Natur etwas viel Größeres als ihren Nutzen. Hier liegt der Kern des Problems: Kontemplativ betrachten bedeutet, über den Nutzen einer Sache hinauszugehen. Das Schöne kontemplativ zu betrachten bedeutet nicht, es auszubeuten: Kontemplation ist Unentgeltlichkeit. Wir entdecken den inneren Wert der Dinge, der ihnen von Gott verliehen wurde. Wie viele Meister des geistlichen Lebens gelehrt haben, besitzt der Himmel, die Erde, das Meer, jedes Geschöpf diese ikonische Fähigkeit, diese mystische Fähigkeit, uns zum Schöpfer und zur Gemeinschaft mit der Schöpfung zurückzuführen.
Der heilige Ignatius von Loyola lädt uns am Ende seiner Geistlichen Übungenzum Beispiel ein zur »Betrachtung, um Liebe zu erlangen«, also darüber nachzudenken, wie Gott seine Geschöpfe anschaut, und sich mit ihnen zu freuen; die Gegenwart Gottes in seinen Geschöpfen zu entdecken und sie in Freiheit und Gnade zu lieben und für sie Sorge zu tragen. Die Kontemplation, die uns zu einer fürsorglichen Haltung führt, bedeutet nicht, die Natur von außen zu betrachten, so als wären wir nicht darin eingebunden. Wir sind jedoch in der Natur, wir sind Teil der Natur. Man macht es vielmehr von innen her, indem wir uns als Teil der Schöpfung erkennen und zu Protagonisten und nicht reinen Zuschauern einer formlosen Wirklichkeit werden, bei der es nur darum geht, sie auszubeuten. Wer auf diese Weise kontemplativ betrachtet, empfindet Staunen nicht nur über das, was er sieht, sondern auch, weil er sich als fester Bestandteil dieser Schönheit fühlt; und er fühlt sich auch aufgerufen, sie zu hüten, sie zu schützen. Und Eines dürfen wir nicht vergessen: Wer die Natur und die Schöpfung nicht kontemplativ zu betrachten weiß, der weiß die Menschen in ihrem Reichtum nicht kontemplativ zu betrachten. Und wer dafür lebt, die Natur auszubeuten, der beutet am Ende die Menschen aus und behandelt sie wie Sklaven. Das ist ein allgemeines Gesetz: Wenn du es nicht verstehst, die Natur kontemplativ zu betrachten, dann wirst du schwerlich die Menschen, die Schönheit der Personen, den Bruder, die Schwester kontemplativ betrachten können.
Wer kontemplativ zu betrachten weiß, wird sich ans Werk machen, um das zu ändern, was Zerstörung und Schäden an der Gesundheit hervorruft. Er bemüht sich, zu neuen Produktionsund Konsumgewohnheiten zu erziehen und diese zu fördern, zu einem neuen Modell wirtschaftlichen Wachstums beizutragen, das die Achtung des gemeinsamen Hauses und die Achtung der Menschen garantiert. Der Kontemplative in Aktion neigt dazu, Hüter der Umwelt zu werden: Das ist schön! Jeder von uns muss Hüter der Umwelt, der Reinheit der Umwelt werden und versuchen, das Wissen der Vorfahren jahrtausendealter Kulturen mit neuen technischen Kenntnissen zu verbinden, damit unser Lebensstil stets nachhaltig sei. Kontemplativ betrachten und Sorge tragen: Das sind letztlich die beiden Haltungen, die den Weg aufzeigen, um unser Verhältnis als Menschen zur Schöpfung zu korrigieren und wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Oft scheint unser Verhältnis zur Schöpfung ein feindseliges Verhältnis zu sein: die Schöpfung zerstören zu meinem Vorteil; die Schöpfung ausbeuten zu meinem Vorteil. Vergessen wir nicht, dass man das teuer bezahlt; vergessen wir nicht jenes spanische Sprichwort: »Gott vergibt immer; wir vergeben manchmal; die Natur vergibt nie.« Heute habe ich in der Zeitung von jenen beiden großen Gletschern der Antarktis gelesen, in der Nähe der Amundsensee: Sie drohen zu kollabieren. Es wird schrecklich sein, weil der Meeresspiegel ansteigen wird, und das wird viele, viele Schwierigkeiten und viel Leid mit sich bringen. Und warum? Aufgrund der Erderwärmung, weil man keine Sorge für die Umwelt trägt, weil man keine Sorge für das gemeinsame Haus trägt.
Wenn wir jedoch dieses – ich erlaube mir das Wort – »brüderliche« Verhältnis, im übertragenen Sinne, zur Schöpfung haben, dann werden wir zu Hütern des gemeinsamen Hauses, zu Hütern des Lebens und Hütern der Hoffnung. Dann werden wir das Erbe behüten, das Gott uns anvertraut hat, damit die zukünftigen Generationen es genießen können. Und jemand könnte sagen: »Ach, ich ziehe mich schon so aus der Affäre.« Das Problem ist jedoch nicht, wie du dich heute aus der Affäre ziehst – das hat ein deutscher Theologe gesagt, ein Protestant, ein guter Mann: Bonhoeffer – sondern das Problem ist: Was wird das Erbe, das Leben der zukünftigen Generation sein? Denken wir an die Kinder, die Enkel: Was sollen wir ihnen hinterlassen, wenn wir die Schöpfung ausbeuten? Bewahren wir diesen Weg, so werden wir zu »Bewahrern« des gemeinsamen Hauses, zu Bewahrern des Lebens und der Hoffnung.
Bewahren wir das Gut, das Gott uns anvertraut hat, damit die zukünftigen Generationen es genießen können. Ich denke insbesondere an die indigenen Völker, denen gegenüber wir alle in der Schuld stehen, was die Anerkennung betrifft – auch was die Buße betrifft, um das Böse wiedergutzumachen, das wir ihnen angetan haben. Aber ich denke auch an jene Bewegungen, Vereinigungen, Bürgergruppen, die sich dafür einsetzen, das eigene Gebiet mit seinen natürlichen und kulturellen Werten zu schützen. Nicht immer wird diesen gesellschaftlichen Wirklichkeiten Wertschätzung entgegengebracht, manchmal werden sie sogar behindert, weil sie kein Geld produzieren; in Wirklichkeit aber tragen sie zu einer friedlichen Revolution bei. Man könnte sie als »Revolution der Fürsorge« bezeichnen. Kontemplativ betrachten, um zu heilen, kontemplativ betrachten, um zu bewahren – uns, die Schöpfung, unsere Kinder, unsere Enkel zu bewahren und die Zukunft zu bewahren. Kontemplativ betrachten, um Sorge zu tragen und um zu bewahren und um der zukünftigen Generation ein Erbe zu hinterlassen. Man darf es jedoch nicht an einige delegieren: das, was die Aufgabe eines jeden Menschen ist. Jeder von uns kann und muss ein »Hüter des gemeinsamen Hauses« werden, der in der Lage ist, Gott zu loben für seine Geschöpfe, die Geschöpfe kontemplativ zu betrachten und sie zu schützen.
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Herzlich grüße ich die Gläubigen deutscher Sprache. Denken wir angesichts der vielen Dinge, die uns verunsichern und ängstigen, immer an eines: Der Herr des Lebens, der uns so sehr liebt, ist in dieser Welt immer gegenwärtig. Er lässt uns nicht allein, denn er hat sich endgültig mit uns verbunden du seine Liebe lässt uns immer neue Wege finden. Er sei gelobt in Ewigkeit.
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