PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Drei Blicke
Freitag, 22. Mai 2015
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 23, 5. Juni 2015
»Wie blickt mich Jesus heute an?«, lautete die von Papst Franziskus gestellte Frage, die jeden Christen direkt anspricht und herausfordert, und zwar mit derselben Intensität wie die »drei Blicke, die Jesus auf Petrus gerichtet hat«: Blicke, die von »der Begeisterung der Berufung, der Reue und der Sendung« erzählen, so der Papst in der heiligen Messe am 22. Mai in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta.
Der Abschnitt mit dem Dialog zwischen Jesus und Petrus befinde sich »fast ganz am Schluss« des Johannesevangeliums (21,15-19), unterstrich Franziskus zu Beginn. »Die Geschichte jener Nacht des Fischfangs ist uns noch gut im Gedächtnis, als die Jünger keinen einzigen Fisch gefangen haben, gar nichts.« Und daher seien die Jünger »ein wenig zornig« gewesen. Als sie »sich dem Ufer näherten« und ein Mann sie frage, ob sie »etwas zu essen« hätten, antworteten sie »zornig«: »Nein!« Denn in der Tat »hatten sie nichts gefangen«. Aber dieser Mann sage zu ihnen, sie sollten die Netze auf der anderen Seite auswerfen. Die Jünger hätten dies getan, »und das Netz füllte sich mit Fischen«.
»Johannes, der engste Freund des Herrn ist es, der ihn erkennt. Petrus in seiner Begeisterung stürzt sich ins Meer, um als Erster beim Herrn zu sein.« Das sei wahrlich »ein wunderbarer Fischfang«, bemerkte Franziskus, aber »als sie ankamen – und hier beginnt der heutige Evangeliumsabschnitt –, finden sie Jesus vor, der das Essen schon vorbereitet hat: auf dem Feuer war gegrillter Fisch.« So hätten sie gemeinsam gegessen. Und »nach dem Essen begann der Dialog zwischen Jesus und Petrus«. Der Papst fügte hinzu: »Heute im Gebet kam mir immer wieder ins Herz, wie der Blick Jesu auf Petrus beschaffen war.« Und im Evangelium »bin ich in Bezug auf Petrus auf drei unterschiedliche Blicke Jesu gestoßen«.
»Dem ersten Blick begegnen wir am Beginn des Johannesevangeliums, als Andreas zu seinem Bruder Petrus kommt und zu ihm sagt: ›Wir haben den Messias gefunden.‹« Und er »führt ihn zu Jesus«, der ihn »anblickt und zu ihm sagt: ›Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Petrus heißen.‹« Das ist der erste Blick, der Blick der Sendung, die Jesus etwas später in Cäsarea Philippi erläutern wird: ›Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen‹: das wird deine Sendung sein.« In der Zwischenzeit, so erklärte der Papst, »ist Petrus von Jesus begeistert: er folgt Jesus nach. Erinnern wir uns an den Abschnitt aus dem sechsten Kapitel des Johannesevangeliums, wo Jesus vom Essen seines Leibes spricht und viele Jünger sagten: ›Das ist unerträglich, das ist ein schwieriges Wort.‹« So »begannen sie, sich zurückzuziehen«, und »Jesus blickt seine Jünger an und fragt: ›Wollt auch ihr weggehen?‹« »In seiner Begeisterung antwortet Petrus: ›Nein! Zu wem sollen wir gehen? Nur du hast Worte des ewigen Lebens!‹« Es gebe also den ersten Blick: »die Berufung und eine erste Ankündigung seiner Sendung«. Und »wie ist die Seele des Petrus in diesem ersten Blick? Voller Begeisterung«. Das »ist die erste Zeit des Gehens mit dem Herrn«.
Dann, so fügte der Papst hinzu, »habe ich an den zweiten Blick gedacht«. Wir finden ihn »spät in der Nacht am Gründonnerstag, als Petrus Jesus folgen will und sich dem Ort nähert, wo er ist, gefangen im Haus des Hohenpriesters. Aber er wird erkannt und behauptet: ›Nein, ich kenne ihn nicht!‹« Er verleugne ihn dreimal. Dann höre er den Hahnenschrei und erinnere sich: »Er hat den Herrn verleugnet. Er hat alles verloren. Er hat seine Liebe verloren.« Gerade »in jenem Augenblick wird Jesus durch den Hof in einen anderen Raum gebracht und richtet den Blick auf Petrus«. Im Lukasevangelium stehe: »Petrus weinte bitterlich.« So »verwandelt sich jene begeisterte Nachfolge Jesu in Tränen, weil er gesündigt hat, weil er Jesus verleugnet hat«. Aber »jener Blick verwandelt das Herz des Petrus noch mehr als vorher«.
Denn »die erste Verwandlung ist die Änderung des Namens und auch der Berufung«. »Dieser zweite Blick dagegen ist ein Blick, der das Herz verwandelt, und es ist eine Verwandlung der Bekehrung zur Liebe.« »Wir wissen nicht, wie der Blick bei jener Begegnung nach der Auferstehung war«, fuhr Franziskus fort. »Wir wissen, dass Jesus Petrus begegnet ist, das Evangelium sagt es, aber wir wissen nicht, was sie gesagt haben.« Und so sei der Blick, von dem in der heutigen Liturgie berichtet werde, »ein dritter Blick: die Bestätigung der Sendung; aber auch der Blick, in dem Jesus von Petrus eine Bestätigung seiner Liebe erbittet.« Denn »dreimal – dreimal! – hatte Petrus Jesus verleugnet«; und nun »bittet der Herr dreimal um die Bestätigung seiner Liebe«. »Und jedes Mal, wenn Petrus ja sagt, dass er ihn liebt, dass er ihn lieb hat, gibt er ihm den Auftrag: ›Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!‹« Darüber »wurde Petrus traurig und weinte fast«, als der Herr ihn zum dritten Mal fragte: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?« Es tut ihm weh, weil der Herr »zum dritten Mal fragt: ›Liebst du mich?‹« Und er antwortet: »Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich lieb habe.« Und Jesus antworte wieder: »Weide meine Schafe!« Das sei »der dritte Blick: der Blick der Sendung«.
Franziskus fasste das Wesentliche der »drei Blicke« des Herrn auf Petrus zusammen: »Der erste, der Blick der Erwählung, mit der Begeisterung, dem Herrn zu folgen; der zweite, der Blick der Reue nach jener schweren Sünde der Verleugnung Jesu; der dritte Blick ist der Blick der Sendung: ›Weide meine Lämmer, weide meine Schafe, weide meine Schafe!‹« Aber damit sei es nicht zu Ende: »Jesus geht weiter: Du tust dies alles aus Liebe und dann? Wirst du zum König gekrönt werden? Nein.« Vielmehr sei der Herr ganz klar: »Das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.« Wie um zu sagen: »Auch du wirst wie ich in jenem Hof sein, in dem ich meinen Blick auf dich gerichtet habe: nahe beim Kreuz.«
Im Hinblick darauf regte der Papst zu einer Gewissenserforschung an. »Auch wir können darüber nachdenken: Welchen Blick richtet Jesus heute auf mich? Wie blickt mich Jesus an? Mit einer Berufung? Mit einer Vergebung? Mit einer Sendung?« Wir könnten sicher sein, dass »auf dem Weg, den Jesus gegangen ist, wir alle von ihm angeblickt werden: Er blickt uns immer mit Liebe an, bittet uns um etwas, vergibt uns etwas und gibt uns eine Sendung«.
Bevor Franziskus die Eucharistiefeier fortsetzte, »jetzt kommt Jesus auf dem Altar zu uns«, lud er zum Gebet ein: »Herr, du bist hier, unter uns. Richte deinen Blick auf mich und sage mir, was ich tun soll; wie ich über meine Fehler und Sünden weinen soll; welchen Mut ich haben muss, um auf dem Weg, den du zuerst gegangen bist, weiterzugehen.« Und »während dieses Opfers der Eucharistie« sei es gut, »dass wir diesen Dialog mit Jesus führen«. Es würde uns auch guttun, so schloss der Papst, »im Laufe des Tages an den auf mich gerichteten Blick Jesu zu denken«.
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