PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Reichtum und Armut
Dienstag, 16. Juni 2015
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 27, 3. Juli 2015
Die »Theologie der Armut« ist das zentrale Thema der Predigt, die Papst Franziskus in der heiligen Messe am 16. Juni in Santa Marta hielt. Die Reflexion des Papstes ging von der Ersten Lesung aus dem Zweiten Brief an die Korinther (8,1-9) aus, wo Paulus »in der Gemeinde von Korinth eine Geldsammlung für die Gemeinde von Jerusalem organisiert, die schwierige Augenblicke finanzieller Not erlebt«. Um zu vermeiden, dass die Geldsammlung auf falsche Art angegangen werde, stellt der Apostel »einige Überlegungen an«, eben eine Art »Theologie der Armut«.
Es handle sich dabei um Präzisierungen, die, wie Franziskus erläuterte, erforderlich seien, weil »Armut« ein Wort sei, »das immer in Verlegenheit bringt«. In der Tat, wie oft hätten wir schon Bemerkungen gehört wie: »Dieser Priester spricht viel zu viel über die Armut, dieser Bischof spricht über die Armut, dieser Christ, diese Ordensfrau sprechen über die Armut… Aber sie sind ein bisschen kommunistisch eingestellt, nicht wahr?« Dagegen »steht die Armut im Mittelpunkt des Evangeliums«, weshalb man »nichts mehr von der Botschaft Jesu verstehen würde, wenn wir die Armut aus dem Evangelium streichen würden«.
So also erkläre sich die Katechese des Paulus »über das Almosen und über die Armut und den Reichtum«, die mit einem der Erfahrung der Kirche von Mazedonien entnommenen Beispiel beginnt. Dort sei, »›während sie durch große Not geprüft wurden‹ – denn sie litten sehr unter den Verfolgungen – und in tiefster Armut lebten, ihre Freude übergroß geworden und [habe sich] ›in den Reichtum ihres selbstlosen Gebens‹ verwandelt«. Das heißt »durch das Geben, durch das Erdulden der ihnen auferlegten Prüfungen wurden sie reich, wurden sie froh«. Das, so fügte Franziskus hinzu, sei genau das, was man in den Seligpreisungen finde: »Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt werdet…«
Nachdem er dieses Beispiel angeführt habe, wende sich Paulus erneut an die Gemeinde von Korinth: »Und da ihr reich seid, denkt an sie, an die Gemeinde von Jerusalem.« Der Papst stellte die Frage, von welcher Art Reichtum Paulus hier spreche. Die Antwort schließe sich unmittelbar an: »Ihr [seid] aber an allem reich, an Glauben, Rede und Erkenntnis, an jedem Eifer und an der Liebe, die wir in euch begründet haben.« Es folge eine Aufforderung: »Wie ihr aber an allem reich seid…, so sollt ihr euch auch an diesem Liebeswerk mit reichlichen Spenden beteiligen.« Sie sollten sich also darum kümmern, erläuterte Franziskus, »dass dieser so große Reichtum – an Eifer, an Liebe, an Gottes Wort, an Gotteserkenntnis – bis in den Geldbeutel geht«. Denn »wenn der Glaube nicht bis zum Geldbeutel geht, dann ist es kein echter Glaube«. Das sei »eine goldene Regel«, die man sich stets vor Augen halten solle.
Folglich ergebe sich aus diesem Paulustext eine »Gegenüberstellung von Reichtum und Armut. Die Gemeinde von Jerusalem ist arm, in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, aber sie ist zugleich auch reich, weil sie den Schatz der Verkündigung des Evangeliums besitzt.« Und es sei gerade »diese arme Gemeinde von Jerusalem«, die die Gemeinde von Korinth reich gemacht habe »durch die Verkündigung des Evangeliums: sie schenkte ihr den Reichtum des Evangeliums«. Wer materiell reich war, sei in Wirklichkeit arm gewesen, ohne die Verkündigung des Evangeliums. Es habe sich dabei, so sagte der Papst, um »einen gegenseitigen Austausch« gehandelt, und so »kommt der Reichtum aus der Armut«.
An diesem Punkt, erläuterte der Papst, komme »Paulus gedanklich zur Grundlage dessen, was wir als ›Theologie der Armut‹ bezeichnen können, und weshalb die Armut im Mittelpunkt des Evangeliums steht«. Im Korintherbrief stehe: »Denn ihr wisst, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.« Also »war es gerade das Mensch gewordene Wort Gottes, das Wort Gottes, das uns so weit entgegengekommen ist, das sich so weit herabgebeugt hat, das so arm geworden ist, dass es uns reich gemacht hat, reich an Gaben des Heils, des Wortes, der Gnade«. Dies »ist der eigentliche Kern der Theologie der Armut «, die sich im Übrigen auch in der ersten Seligpreisung wiederfinde: »Selig, die arm sind vor Gott.« Franziskus präzisierte: »Arm sein heißt, sich durch die Armut Christi bereichern zu lassen, und nicht reich sein zu wollen an anderen Reichtümern, die nicht die Reichtümer Christi sind, und das zu tun, was Christus getan hat.« Dazu reiche es nicht, sich seiner Reichtümer zu entledigen, sondern es gehe »noch einen Schritt weiter«, weil »der Arme mich reich macht«.
Dies auf das konkrete Alltagsleben beziehend erläuterte der Papst, dass »wir keine wohltätigen Werke im christlichen Sinne vollbringen, wenn wir den Armen helfen«. Es handle sich dabei um eine »gute« Tat, einen Akt »der Menschlichkeit«, aber »das ist nicht die christliche Armut, die Paulus will, die Paulus predigt«. Denn christliche Armut heiße, »dass ich von dem, was ich habe – nicht an Überfluss, sondern auch mir selbst Lebensnotweniges –, dem Armen gebe, weil ich weiß, dass er mich bereichert«. Und warum bereichert mich der Arme? »Weil Jesus gesagt hat, dass er selbst im Armen gegenwärtig ist.«
Dasselbe Prinzip wiederhole Paulus, wenn er schreibe: »Denn ihr wisst, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.« Das geschehe »immer dann, wenn ich mich einer Sache entäußere – aber nicht einer überflüssigen Sache! –, um sie einem Armen, einer armen Gemeinde, vielen armen Menschen zu geben, denen es an allem mangelt«, weil »der Arme mich reich macht«, insofern er »Jesus ist, der durch ihn wirkt«. Gerade aus diesem Grund, so schloss Franziskus, sei die Armut »keine Ideologie«. Die Armut »steht im Mittelpunkt des Evangeliums«. In der »Theologie der Armut« fänden wir »das Geheimnis Christi, der sich erniedrigt hat, der sich gedemütigt hat, der arm geworden ist, um uns reich zu machen«. So verstehe man, »warum die erste der Seligpreisungen lautet: ›Selig, die arm sind vor Gott‹«. Und »arm sein vor Gott«, so der Papst, »heißt diesen Weg des Herrn gehen«, »der sich so weit erniedrigt«, dass er im eucharistischen Opfer »Brot für uns« wird. Jesus »entäußert sich weiter in der Kirchengeschichte, im Gedächtnis seines Leidens, im Gedenken an seine Demütigung, im Gedenken an seine Erniedrigung, im Gedenken an seine Armut, und durch dieses ›‹ macht er uns reich«.
Daraus ergab sich die abschließende Anregung zum Gebet: »Der Herr möge uns den Weg der christlichen Armut verstehen lassen und auch die Haltung, die wir haben müssen, wenn wir den Armen helfen.«
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