PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Der Rat des heiligen Paulus
Dienstag, 1. September 2015
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 37, 11. September 2015
Das Zeugnis des Ijob und Michelangelos Fresko des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle sind zwei Bilder, die unsere Gewissheit, dass es zu einer persönlichen Begegnung mit dem Herrn kommen wird, wiederbeleben. Der Papst sprach sie erneut an, wobei er jedermann den Rat wiederholte, den Paulus den Christen in Thessaloniki gegeben hatte, »einander zu trösten«, das heißt also, »über die Wiederkunft des Herrn zu sprechen«, das einzige, was zähle, ohne damit Zeit mit »Sakristei-Geschwätz« zu vergeuden.
In Lauf der Frühmesse, die er am Dienstag, 1. September, in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte, regte der Papst auch eine Reihe von Fragen für eine Gewissenserforschung darüber an, wie wir dieses Warten auf den Herrn erleben. Franziskus ging bei seiner Meditation von der Schriftlesung aus dem ersten Brief aus, den »der Apostel Paulus an die Gemeinde von Thessaloniki schreibt« (1 Thess 5,1-6. 9-11). Vielleicht, so merkte er an, »ist dieser Brief der erste, den er geschrieben hat«, und er habe ihn an »eine etwas unruhige Gemeinde geschrieben«, da sie besorgt gewesen sei, »wann und wie« der Tag der Wiederkunft des Herrn sein und wann er erfolgen würde.
Diese Sorgen seien so groß gewesen, dass der Papst präzisierte, dass sich der heilige Paulus bereits in der Schriftlesung des vorangegangenen Tages dazu genötigt gesehen habe, die Empfehlung auszusprechen, nicht zu »trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben«. Tatsächlich habe sich die Gemeinde gefragt: »Was geschieht mit den Verstorbenen, wohin gehen die Verstorbenen?« Und weiter? »Wann kommt der Herr?« Und jemand habe geantwortet: »Nein, er kommt gleich! Und wenn er gleich kommt, dann brauchen wir nicht zu arbeiten!« So habe Paulus, ein ganz »konkreter« Mann, den Christen von Thessaloniki ein starkes Wort sagen müssen: »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen«. Kurz, so bekräftigte der Papst, der Apostel habe dieser »Gemeinde, die ein bisschen so war«, »den Weg des Friedens weisen müssen«.
Und wiederum in der Schriftlesung des vorigen Tages habe er dazu gemahnt, nicht »traurig zu sein, denn der Herr kommt, und eure Verstorbenen sind bei Ihm«. Aber Paulus sei noch darüber hinausgegangen: »Dann werden wir immer beim Herrn sein«. Diese Erklärung, so sagte Franziskus, »ist ein großer Trost«, und »das ist es, was uns erwartet, uns alle«. Überdies, so fügte er hinzu, »endete die gestrige Lesung mit einem Rat: »Tröstet also einander mit diesen Worten!«
Aber »auch heute«, so sagte der Papst, endet der Text, den wir gelesen haben, mit demselben Verb: »Tröstet einander.« Und in der Tat »ist es gerade der Trost, der Hoffnung schenkt: Der Herr wird kommen, und er wird kommen, wenn er kommen will sobald er sehen wird, dass die Zeit gekommen ist.« Niemand könne sagen, wann das geschehen werde: Paulus schreibe gar, dass der Herr »kommt wie ein Dieb in der Nacht, wie die Wehen über eine schwangere Frau: er kommt!« Und aus dieser Perspektive gesehen, »was sollen wir tun?« In der Tat erteile Paulus diesen Rat: »Tröstet, tröstet und ermahnt einander.« Er lade also dazu ein, miteinander zu reden. »Ich aber«, so fragte Franziskus, »frage euch: sprechen wir über die Tatsache, dass der Herr kommt, dass wir ihm begegnen werden?« Oder »sprechen wir
nicht eher über vielerlei Dinge, auch über die Theologie, über kirchliche Angelegenheiten, über Priester, Ordensfrauen, Monsignores, über all das?« Und, so fügte er hinzu, »ist unser Trost diese Hoffnung?« Der Rat des Paulus laute, dass man sich gegenseitig trösten solle, dass man sich in der Gemeinde trösten solle. Und zu dieser Frage regte Franziskus eine echte Gewissensprüfung an: »Spricht man in unseren Gemeinschaften, in unseren Gemeinden über die Tatsache, dass wir in Erwartung der Wiederkunft des Herrn sind, oder schwatzt man über dies und das und jenes, um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben und sich nicht allzu sehr zu langweilen? Worin besteht mein Trost? Besteht er in dieser Hoffnung? Bin ich gewiss, dass der Herr kommen wird, um mich zu finden und mich mitzunehmen? Habe ich diese Gewissheit?«
Der Papst wiederholte hierauf die Worte des Antwortpsalms (27): »Ich aber bin gewiss, zu schauen die Güte des Herrn im Land der Lebenden «. Und daran schloss er gleich eine weitere Frage an: »Aber hast du diese Gewissheit, den Herrn zu schauen?« In diesem Zusammenhang bezog sich Franziskus auf »dieses wunderschöne Ende des 19. Kapitels aus dem Buch Ijob«, wobei er ausführte, dass »Hiob sehr litt«, aber dass er »trotz all seiner Schmerzen, seiner Wunden, seines Nicht-Verstehen-Könnens, des Leidens, nicht zu verstehen, warum ihm all das widerfuhr, sagte: Aber ich bin mir gewiss, ich weiß, dass mein Erlöser lebt; ich weiß, dass Gott lebt und ich ihn sehen werde, und ich werde ihn mit diesen Augen sehen«.
Ein Zeugnis, das einen jeden von uns hinterfrage. Und so regte der Papst noch eine weitere direkte Reflexion an: »Glaube ich hieran? Oder ist es besser, nicht daran zu denken? Denken wir an etwas anderes, weil diese Gewissheit, dass der Herr kommen wird, um mich zu finden, um mich mitzunehmen… Und das ist unser Friede, das ist unser Trost, das ist unsere Hoffnung«. »Es ist wahr, er kommt, um zu urteilen«, so fügte er hinzu, »und wenn wir in die Sixtinische Kapelle gehen, dann sehen wir diese schöne Szene des Jüngsten Gerichts: es ist wahr!« Aber »denken wir auch daran, dass er zu mir kommen wird, damit ich ihn mit diesen Augen sehen kann, damit ich ihn umarme und immer bei ihm bin. Das ist die Hoffnung, die wir, wie uns der Apostel Paulus sagt, durch unser Leben den anderen erläutern sollen, indem wir zu Zeugen der Hoffnung werden.«
Das also sei der wahre Trost: »Ich bin gewiss – das ist die wahre Gewissheit –, dass ich die Güte des Herrn schauen werde.« Daher, so fuhr der Papst unter Verweis auf den Rat des Paulus fort, »darum tröstet und ermahnt einander, und einer richte den andern auf, wie ihr es schon tut. Und so gehen wir weiter.« Im Übrigen hätten wir gerade »im Tagesgebet«, so erinnerte er, »den Herrn darum gebeten, »das Samenkorn aufgehen zu lassen, das er in uns ausgesät hat, diesen Samen der Güte, diesen Samen der Gnade«.
Franziskus setzte die Predigt mit der Bitte fort, dass »der Herr uns die Gnade gewähre, dass dieser Same der Hoffnung, den er in unserem Herzen ausgesät hat, keime und bis zur endgültigen Begegnung mit ihm wachse«, um dann bekräftigen zu können: »Ich bin gewiss, dass ich den Herrn sehen werde«; »ich bin gewiss, dass der Herr lebt«; »ich bin gewiss, dass der Herr zu mir kommen wird«. Das sei »der Horizont unseres Lebens«. »Bitten wir also«, so schloss er, »den Herrn um diese Gnade und trösten und ermahnen einander, und einer richte den andern auf, wie ihr es schon tut«.
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