PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Die Gnade der Scham
Dienstag, 21. März 2017
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 13, 31. März 2017)
Es ist notwendig, Gott um »die Gnade der Scham« zu bitten, denn »es ist eine große Gnade, sich seiner Sünden zu schämen und so die Vergebung zu empfangen und sie den anderen zu geben «. Dies ist die Einladung, die Papst Franziskus an die Teilnehmer der Messe richtete, die er am Dienstag, den 21. März, in Santa Marta feierte.
Der Papst kommentierte wie üblich die Lesungen vom Tag und beschäftigte sich zunächst mit dem Abschnitt aus dem Matthäusevangelium (18,21-35). Jesus spricht »zu seinen Jüngern von der brüderlichen Zurechtweisung, vom verlorenen Schaf, von der Barmherzigkeit des Hirten. Und Petrus meint, alles verstanden zu haben, und mutig und auch großherzig, wie er war, sagt er: »Nun, wie oft muss ich jetzt angesichts dessen, was du über die brüderliche Zurechtweisung und über das verlorene Schaf gesagt hast, vergeben? Ist siebenmal in Ordnung?« Und Jesus antwortet: »Immer«, in dieser Form »siebenundsiebzigmal «. Der Papst machte darauf aufmerksam, dass es tatsächlich »schwer ist, das Geheimnis der Vergebung zu begreifen, denn es ist ein Geheimnis: Warum muss ich vergeben, wenn die Gerechtigkeit es mir gestattet, weiterzugehen und einzufordern, dass jene Gerechtigkeit das tut, was sie tun muss?«
Die Antwort, so die Empfehlung des Papstes, bietet die Kirche, die »uns heute in dieses Geheimnis der Vergebung eintreten lässt, welche das große Werk der Barmherzigkeit Gottes ist«. Und sie tut dies vor allem mit der ersten Lesung aus dem Buch des Propheten Daniel (3,25.34- 43), durch die »sie uns zum Gebet des Asarja führt, ein sehr trauriger Augenblick in der Geschichte des Volkes Gottes. Es wurde ihnen alles genommen, sie haben alles verloren und stehen in der Versuchung zu glauben, dass Gott sie verlassen hat.« Nachdem er die Szene beschrieben hatte, wiederholte Franziskus mit ihren Worten: »Könnten wir doch mit zerknirschtem Herzen und demütigem Sinn aufgenommen werden. Könnten wir doch Barmherzigkeit finden, so soll heute das zerknirschte Herz, der demütige Sinn und unser Opfer vor dir sein. Herr, überlasse uns nicht der Schande, sondern handle an uns nach deiner Milde, nach deinem überreichen Erbarmen! Errette uns, deinen wunderbaren Taten entsprechend.«
Besonders betonte der Papst: »Herr, überlasse uns nicht der Schande.« Sie »spürten die Scham in ihrem Innern, weil sie so waren, wie es vorher heißt: ›wegen unserer Sünden‹«. Also »hat Asarja gut verstanden, dass das Volk Gottes aufgrund der Sünden in jener Situation war. Und es schämt sich. Und aus Scham bittet es zum Vergebung.« Das also ist »der erste Schritt«, den es zu tun gilt: »die Gnade der Scham. Um in das Geheimnis der Vergebung einzutreten, müssen wir uns schämen. « Doch, so präzisierte der Papst, »wir können das nicht allein, die Scham ist eine Gnade: ›Herr, lass mich Scham empfinden über das, was ich getan habe.‹ Und so stellt sich die Kirche vor dieses Geheimnis der Sünde und lässt uns den Ausweg sehen, das Gebet, die Reue und die Scham.«
Dann »nimmt die Kirche den Abschnitt aus dem Evangelium auf und erklärt, was jenes ›siebenundsiebzigmal‹ bedeutet«. Es heißt, so der Papst, »dass wir immer vergeben müssen. Und Jesus erzählt dieses Gleichnis von den zwei Dienern: Der erste ist hingegangen, um mit seinem Herrn seine Rechnung zu begleichen. Der Herr will Gerechtigkeit walten lassen, und er fleht ihn an: ›Hab Geduld‹, er bat um Vergebung, und dann hatte der Herr Mitleid mit ihm und vergab ihm.« Als er aber dann hinausging, traf er einen anderen, dessen Schulden »sehr gering waren, er war ihm hundert Denare schuldig«. Und statt ihm zu vergeben, »packte er ihn am Hals: ›Bezahl mich, bezahl mich!‹« Als nun »der Herr davon erfährt, empört er sich und ruft die Folterknechte und lässt ihn ins Gefängnis abführen: ›Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt.‹«
So ist es also notwendig, sich zu fragen: »Warum ist das geschehen? Dieser Mann, dem viel Geld nachgelassen worden war, so viel, dass er, seine Frau und die Kinder als Sklaven verkauft werden sollten zusammen mit allem, was er besaß «, dann geht er hinaus »und ist unfähig Kleinigkeiten zu vergeben«. Also: »Er hat das Geheimnis der Vergebung nicht begriffen.«
Der Papst griff auf eine Art imaginären Dialog mit den Anwesenden zurück: »Wenn ich frage: ›Ihr aber, seid ihr alle Sünder?‹ – ›Ja, Pater, alle.‹ – ›Und um die Vergebung der Sünden zu erlangen?‹ – ›Da gehen wir zur Beichte.‹ – ›Und wie gehst du zum Beichten?‹ – ›Nun, ich gehe hin, ich sage meine Sünden, der Priester vergibt mir, er gibt mir drei Ave Maria zu beten und dann gehe ich wieder in Frieden.‹« In diesem Fall, mahnte der Papst, »hast du nicht verstanden. Du bist in den Beichtstuhl gegangen, wie um etwas in der Bank zu erledigen, um etwas Amtliches zu erledigen. Du bist nicht voller Scham über das hingegangen, was du getan hast. Du hast einige Flecken in deinem Gewissen gesehen und hast geirrt, denn du meintest, dass der Beichtstuhl eine Reinigung ist«, die nur fähig ist, »die Flecken zu entfernen. Du warst unfähig, dich deiner Sünden zu schämen. Ja, dir ist vergeben worden, da Gott groß ist, aber er ist dir nicht ins Gewissen gedrungen, du bist dir dessen nicht bewusst gewesen, was Gott getan hat, des Wunders, das er in deinem Herzen gewirkt hat; und deshalb gehst du hinaus, triffst einen Freund, eine Freundin, und fängst an, schlecht über einen anderen, die andere zu reden und sündigst weiter.«
Die konkrete, alltägliche Erfahrung lehrt: »Das Geheimnis der Vergebung ist sehr schwer« zu verstehen. Daher, wie der Papst aufmerksam machte, »ist die Kirche heute weise, wenn sie uns über diese beiden Schritte nachdenken lässt«. Denn »ich kann nur dann vergeben, wenn ich spüre, dass mir vergeben worden ist. Wenn du nicht das Bewusstsein hast, dass dir vergeben worden ist, dann wirst du nie vergeben können, nie.« Im Grunde ist da in jedem Menschen »diese Haltung, mit den anderen abrechnen zu wollen«. Während »die Vergebung total ist. Doch dies ist nur möglich, wenn ich meine Sünde verspüre, wenn ich mich schäme, wenn ich Scham empfinde und Gott um Vergebung bitte und spüre, dass der Vater mir vergeben hat. Und so kann ich vergeben. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann man nicht vergeben, dann sind wir dessen unfähig. Aus diesem Grund ist die Vergebung ein Geheimnis.«
Das also ist die Lehre des Gleichnisses vom Diener, »dem viele Dinge, sehr vieles vergeben worden ist«, der ab dennoch »nichts verstanden hat: Er ist glücklich hinausgegangen, er hat sich von einer Last befreit, aber er hat die Großherzigkeit seines Herrn nicht verstanden. Er ist hinausgegangen und sagte sich in seinem Herzen: ›Da bin ich gut davon gekommen, ich war schlau!‹ oder etwas ähnliches.«
Der Papst wandte diese Reflexion auf das Jetzt an und mahnte: »Wie oft kommen wir aus dem Beichtstuhl heraus und spüren, ohne es zu sagen, dass wir davongekommen sind.« Dies aber »bedeutet nicht, Vergebung zu empfangen: das ist die Heuchelei, eine Vergebung gestohlen zu haben, eine vorgetäuschte Vergebung. Und da ich also nicht die Erfahrung der Vergebung gemacht habe, kann ich den anderen nicht vergeben, mir fehlt die Fähigkeit wie diesem Heuchler, der seinem Gefährten nicht zu vergeben vermochte.«
Daher der abschließende Auftrag des Papstes: »Heute wollen wir den Herrn um die Gnade bitten, dieses ›siebenundsiebzigmal‹ zu verstehen.« Außerdem: »Wenn der Herr mir so viel vergeben hat, wer bin dann ich, um nicht zu vergeben?«
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