PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Die Kirche gehört nicht den lauen Christen
Dienstag, 23. Mai 2017
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 23, 9. Juni 2017)
Die Kirche darf niemals »lau« sein, und sie ist, gerade so wie jeder einzelne Christ, dazu aufgerufen, einen Weg der »täglichen Umkehr« zu gehen. Tatsächlich muss man aufpassen, sich nicht an einen »behäbigen«, »weltlichen« Stil anzupassen, sondern immer offen zu sein für die »freudige Verkündigung, dass Jesus der Herr ist«. So wie es beispielsweise Erzbischof Óscar Arnulfo Romero tat, an den Papst Franziskus am zweiten Jahrestag seiner Seligsprechung während der heiligen Messe erinnerte, die er am Dienstag, 23. Mai, in Santa Marta feierte.
Zunächst griff der Papst die Erste Lesung (Apg 16,22-34) auf und erläuterte, dass es sich dabei um den letzten Teil einer umfassenderen Erzählung handle, wobei er deren gesamten Verlauf zusammenfasste. Es handle sich um einen wichtigen Augenblick in der Verkündigung des Paulus und des Silas, die bei ihrer Ankunft in der Stadt Philippi »auf eine Sklavin stießen, die sich als Wahrsagerin betätigte« und die ihren Herren durch diese Tätigkeit viel Geld einbrachte. Diese Frau hatte, als die beiden »auf dem Weg zur Gebetsstätte « waren, zu rufen begonnen: »Diese Menschen sind Diener des höchsten Gottes!« Allem Anschein nach, so bemerkte der Papst, habe es sich dabei um einen »Lobpreis« gehandelt.
Aber ihre Worte, die sie »Tag für Tag« wiederholte, zogen eine Konsequenz nach sich. Tatsächlich lesen wir in der Apostelgeschichte, dass »Paulus eines Tages ärgerlich wurde«. Der Apostel, so erläuterte der Papst, »verfügte über den Geist der Unterscheidung und wusste, dass diese Frau von einem bösen Geist besessen war«, daher »wandte er sich um und trieb den bösen Geist aus«. Die unmittelbare Folge hiervon sei gewesen, dass »diese Frau, diese Sklavin nicht mehr wahrsagen konnte, und als ihre Herren sahen, dass sie keinen Gewinn mehr erwarten konnten – sie verdienten sehr viel –, da ergriffen sie Paulus und Silas und führten sie den obersten Beamten vor«. So habe eine ganze Reihe von Anklagen ihren Anfang genommen. Und gerade an diesem Punkt setze die Lesung zum Tage ein, in der stehe, dass die »obersten Beamten ihnen die Kleider vom Leib reißen ließen und befahlen, sie mit Ruten zu schlagen. Sie ließen ihnen viele Schläge geben und sie ins Gefängnis bringen; dem Gefängniswärter befahlen sie, sie in sicherem Gewahrsam zu halten. Auf diesen Befehl hin warf er sie in das innere Gefängnis und schloss zur Sicherheit ihre Füße in den Block.«
An dieser Stelle aber, so der Papst, »griff Gott ein«, und so sei geschehen, dass, als »Paulus und Silas um Mitternacht Loblieder sangen und die Gefangenen ihnen zuhörten«, ein »gewaltiges Erdbeben begann, so dass mit einem Schlag alle Türen aufsprangen«. Und angesichts dieses so außergewöhnlichen Ereignisses habe sich der Gefängniswärter, aus Angst, dass die Gefangenen geflohen seien, selbst töten wollen, da »das Gesetz jener Zeit« vorsah, dass im Fall einer Flucht der Gefangenen der Wärter hingerichtet werden sollte«.
Da »rief Paulus laut: ›Tu dir nichts an! Wir sind alle noch da.‹ Und dieser Mann verstand es nicht: ›Aber wie ist so etwas möglich? Statt die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und zu fliehen, sind diese Verbrecher noch hier?‹« Der Gefängniswärter stürzte, als ihm klar wurde, dass »etwas seltsames geschah und dass die Hand Gottes im Spiel war, sowohl bei dem Erdbeben als auch bei den offenen Türen bzw. bei der Tatsache, dass keiner geflohen war«, hinein »und fiel Paulus und Silas zitternd zu Füßen«. Er habe gesagt: »Ihr Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden?« Offensichtlich, so Franziskus, sei er ein Mann gewesen, »dessen Herz vom Geist berührt worden war«. Die Antwort der beiden habe gelautet: »›Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus. Und sie verkündeten ihm und allen in seinem Haus das Wort Gottes. Er nahm sie in jener Nachtstunde bei sich auf, wusch ihre Striemen und ließ sich sogleich mit allen seinen Angehörigen taufen. Dann führte er sie in seine Wohnung hinauf, ließ ihnen den Tisch decken und war mit seinem ganzen Haus voll Freude.‹ Sie feierten diese Gnade«. Hier handle es sich um »eine schöne Geschichte, die uns nachdenklich macht«, sagte der Papst am Ende der Geschichte.
Das war der Ausgangspunkt für die Überlegung, dass zunächst hervorgehoben werde, dass es sich bei dieser Geschichte um eine »Passage«, um einen Übergang handle. In der Tat beginne alles mit »einer ruhigen Predigttätigkeit, weil Paulus und Silas darüber zufrieden sein mussten, dass diese Sklavin, diese Zauberin, diese Wahrsagerin, die soviel Vollmacht gehabt habe, sagte, dass sie Diener des höchsten Gottes seien.« Tatsache ist, dass das »nicht die Wahrheit« war. Und »warum?«, fragte sich der Papst. »Weil Paulus«, so lautete die Antwort, »der vom Geist bewegt war, einsah, dass das nicht die Kirche Christi war, dass das nicht der Weg zur Bekehrung dieser Stadt war, weil alles ruhig blieb, weil keine Bekehrungen erfolgten. Ja, alle akzeptierten sie die Lehre: ›Wie schön, wie schön, uns geht es allen gut‹«.
Ein Stand der Dinge, so betonte der Papst, der sich »in der Heilsgeschichte« mehrfach »wiederholt«: Tatsächlich habe der Herr, »wenn das Gottesvolk ruhig vor sich hin lebte oder der Weltlichkeit huldigte – ich sage nicht: den Götzen –, nein, der Weltlichkeit, und lau war, die Propheten gesandt «. Mehr noch: »den Propheten erging es wie dem Paulus: sie wurden verfolgt, verprügelt, und weshalb? Weil sie störten«. Etwas, das auch Paulus tat, »ein Mann mit Unterscheidungsvermögen «, der begriff, dass der Geist, von dem die Wahrsagerin besessen war, »ein Geist der Lauheit war, der die Kirche lau werden ließ«, »er erkannte die Täuschung und verjagte den bösen Geist. Und die Wahrheit kam zutage.«
Es handle sich hier um eine Dynamik, so der Papst, zu der es auch heute in der Kirche komme: »Wenn jemand die vielerlei Arten der Weltlichkeit anprangert, dann wird er scheel angesehen: das geht nicht, es ist besser, dass er weggeht«. Und er fügte hinzu: »Ich erinnere mich an viele, sehr viele Männer und Frauen in meiner Heimat, gute geweihte Leute, keine Ideologen, die aber sagten: ›Nein, die Kirche Jesu ist so und so…‹«, an die Leute, die sagten: »›Das ist ein Kommunist, weg mit ihm!‹, und sie wegjagten, sie verfolgten. Denken wir an den seligen Romero.« Und das sei »vielen, sehr vielen in der Geschichte der Kirche, auch hier in Europa«, widerfahren.
Eine Erklärung hierfür könne man in der Tatsache finden, dass »der böse Geist eine ruhige Kirche vorzieht, die keine Risiken eingeht, eine Kirche der Geschäftemacher, eine bequeme Kirche, in der Bequemlichkeit der Lauheit, eine laue Kirche «. Um diesen Gedankengang besser verständlich zu machen, erinnerte der Papst an zwei Worte, die in der fraglichen Passage der Heiligen Schrift Erwägung finden, eines »am Anfang der Geschichte« und eines »an deren Ende«. Bei aufmerksamer Lektüre sehe man nämlich, dass »die Herren dieser Frau, der Sklavin, der Wahrsagerin, wütend wurden, weil sie eine Einkommensquelle verloren hatten«. Da haben wir das Wort: »Geld«.»Der böse Geist kommt« nämlich »immer über den Beutel herein« und, so deutete der Papst an: »wenn die Kirche lau ist, ruhig, gut durchorganisiert, wenn es keine Probleme gibt, dann schaut sofort nach, wo Geschäfte gemacht werden«.
Und dann sei da noch ein weiteres Wort, das am Ende der Erzählung auftauche: »Freude«. Tatsächlich lese man, dass der Gefängniswärter, nachdem er getauft worden war, »den Tisch decken ließ und mit seinem ganzen Haus voll Freude war, weil er zum Glauben an Gott gekommen war«. Damit, so sagte Franziskus, sei »der Weg unserer alltäglichen Umkehr« klar und deutlich: »von einem Zustand des weltlichen Lebens, das ruhig verläuft, ohne Risiken, schon katholisch, ja, aber eben lau, zu einem Lebenszustand der wahren Verkündigung Jesu, zur Freude der Verkündigung Jesu. Von einer Frömmigkeit, die allzu sehr aufs Geldverdienen ausgerichtet ist übergehen zum Glauben und zur Proklamation: ›Jesus ist der Herr‹«. Und das, so sagte er, »ist das Wunder, das der Heilige Geist vollbringt«.
Daher regte der Papst die Anwesenden dazu an, Kap. 16 der Apostelgeschichte noch einmal nachzulesen, um »diesen zurückzulegenden Weg« besser zu verstehen und wie »der Herr mit seinen Zeugen, mit seinen Märtyrern die Kirche voranzubringen«. Man werde sich dann bewusst werden, dass »eine Kirche ohne Märtyrer Misstrauen erregt; eine Kirche, die keine Risiken eingeht, erregt Misstrauen; eine Kirche, die Angst hat, Jesus Christus zu verkündigen und die Geister, die Götzen, jenen anderen Herrn, der Mammon heißt, zu vertreiben, das ist nicht die Kirche Jesu«.
Zum Schluss seiner Überlegungen erinnerte Franziskus daran, dass die Lesung zum Tage ein Gebet enthalte, in dem »dem Herrn für die erneuerte Jugend« gedankt werde, »die er uns in Jesus schenkt«. Auch die Kirche von Philippi, sagte er, »ist erneuert worden und eine junge Kirche geworden «. Wir sollten also darum beten, dass »das uns allen zuteil wird: eine erneuerte Jugend, eine Umkehr von der lauen Lebensweise hin zur freudigen Verkündigung, dass Jesus der Herr ist.«
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