HOMILIE VON PAPST FRANZISKUS
Petersplatz
XXIX. Sonntag im Jahreskreis, 18. Oktober 2015
Die biblischen Lesungen führen uns heute das Thema des Dienens vor Augen und rufen uns auf, Jesus auf dem Weg der Demut und des Kreuzes zu folgen.
Der Prophet Jesaja beschreibt die Gestalt des Gottesknechtes (53,10-11) und seine Heilssendung. Es handelt sich um einen Menschen, der sich nicht einer vornehmen Herkunft rühmt; er ist verachtet, wird von allen gemieden, ist mit dem Leiden vertraut. Es ist einer, dem weder großartige Unternehmungen zugeschrieben werden, noch berühmte Reden, sondern der durch eine demütige und stille Gegenwart und durch das eigene Leiden den Plan Gottes zur Vollendung führt. Seine Sendung erfüllt sich tatsächlich im Leiden, das ihn befähigt, die Leidenden zu verstehen, die Bürde der Schuld anderer auf sich zu nehmen und sie zu sühnen. Die Ausgrenzung und das Leiden des Gottesknechtes, die bis in seinen Tod hinein fortdauern, erweisen sich als so fruchtbar, dass sie »die vielen« erlösen.
Jesus ist der Gottesknecht: Sein Leben und sein Sterben, ganz im Zeichen des Dienstes (vgl. Phil 2,7), waren die Ursache für unser Heil und für die Versöhnung der Menschheit mit Gott. Das Kerygma, das Herzstück des Evangeliums bestätigt, dass sich in seinem Tod und seiner Auferstehung die Weissagungen über den Gottesknecht erfüllt haben. Die Erzählung des heiligen Markus beschreibt die Szene, in der Jesus sich mit seinen Jüngern Jakobus und Johannes abmüht, die – unterstützt von ihrer Mutter – den Wunsch äußern, in der Herrlichkeit Gottes an seiner Rechten und seiner Linken zu sitzen (vgl. Mk 10,37), und damit Ehrenplätze beanspruchen, wie sie ihrer hierarchischen Vorstellung vom Gottesreich entsprechen. Es zeigt sich, dass die Sicht, in der sie leben, noch getrübt ist durch Träume von irdischer Verwirklichung. So versetzt Jesus diesen Ansichten seiner Jünger einen ersten „Schlag“, indem er darauf hinweist, welches sein Weg auf dieser Erde ist: »Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke … doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind.« (V. 39-40). Mit dem Bild des Kelches sagt er den beiden die Möglichkeit zu, bis zum Grunde sein Los des Leidens zu teilen, ohne ihnen jedoch die begehrten Ehrenplätze zu garantieren. Seine Antwort ist eine Einladung, ihm auf dem Weg der Liebe und des Dienens zu folgen, und weist zugleich die weltliche Versuchung zurück, sich an die Spitze zu stellen und über die anderen zu herrschen.
Angesichts der Menschen, die sich eifrig darum bemühen, Macht und Erfolg zu erlangen und in Erscheinung zu treten, angesichts derer, die wollen, dass ihre Verdienste und ihre Arbeiten anerkannt werden, sind die Jünger aufgerufen, das Gegenteil zu tun. Daher ermahnt Jesus sie: »Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein« (V. 42-44). Mit diesen Worten weist er darauf hin, dass in der christlichen Gemeinschaft der Stil der Autorität das Dienen ist. Wer den anderen dient und wirklich kein Ansehen genießt, übt in der Kirche die wahre Autorität aus. Jesus lädt uns ein, eine andere Mentalität anzunehmen und von der Gier nach Macht zu der Freude überzugehen, in den Schatten zu treten und zu dienen; den Instinkt des Herrschens über die anderen auszurotten und die Tugend der Demut zu üben.
Und nachdem er ein Beispiel vor Augen gestellt hat, das nicht nachzuahmen ist, bietet er sich selbst als das Ideal an, auf das man sich beziehen soll. In der Haltung des Meisters soll die Gemeinschaft den Beweggrund für die neue Lebensperspektive finden: »Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen«, sagt er, »sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (V. 45). In der biblischen Überlieferung ist der Menschensohn derjenige, der von Gott »Herrschaft, Herrlichkeit und Königtum« empfängt (Dan 7,14). Jesus erfüllt dieses Bild mit einem neuen Sinn und stellt klar, dass er die Herrschaft besitzt, insofern er Knecht ist, die Herrlichkeit, insofern er fähig ist, sich zu erniedrigen, und das Königtum, insofern er zur völligen Hingabe seines Lebens bereit ist. Mit seinem Leiden und Sterben nimmt er nämlich den letzten Platz ein, erreicht die äußerste Bedeutsamkeit gerade im Dienen und macht daraus ein Geschenk für die Kirche.
Ein Verständnis der Macht, das sich an weltlichen Kriterien orientiert, ist unvereinbar mit dem demütigen Dienst, der nach der Lehre und dem Beispiel Jesu die Autorität kennzeichnen müsste. Unvereinbar sind Ehrgeiz und Karrierismus mit der Nachfolge Christi; unvereinbar die irdischen Ehren und Triumphe, der irdische Erfolg und Ruhm mit der Logik des gekreuzigten Christus. Der „mit dem Leiden vertraute“ Jesus ist dagegen vereinbar mit unserem Leiden. Daran erinnert uns der Hebräerbrief, der Christus als den Hohenpriester zeigt, der in allem unsere menschliche Lage teilt, außer der Sünde: »Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche«, heißt es da, »sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat« (4,15). Jesus übt im Wesentlichen ein Priestertum der Barmherzigkeit und des Mitleids aus. Er hat unsere Schwierigkeiten unmittelbar selbst erfahren und kennt unsere menschliche Lage von innen her; dass er nicht gesündigt hat, hindert ihn nicht daran, die Sünder zu verstehen. Seine Herrlichkeit besteht nicht im Ehrgeiz oder in der Herrschsucht, sondern darin, die Menschen zu lieben, ihre Schwäche anzunehmen und zu teilen, ihnen die heilende Gnade zu schenken und sie mit unendlicher Zärtlichkeit zu begleiten, sie zu begleiten auf ihrem mühevollen Weg.
Jeder von uns hat als Getaufter persönlich Anteil am Priestertum Christi; die gläubigen Laien am allgemeinen Priestertum und die Priester am Amtspriestertum. Daher können wir alle die Liebe empfangen, die aus seinem geöffneten Herzen hervorströmt – sowohl für uns selbst, als auch für die anderen –, und zu „Kanälen“ seiner Liebe, seines Mitleids werden, besonders gegenüber denen, die sich in Situationen des Schmerzes, der Angst, der Entmutigung und der Einsamkeit befinden.
Diejenigen, die heute heiliggesprochen wurden, haben in außergewöhnlicher Demut und Liebe unentwegt ihren Mitmenschen gedient und so ihren göttlichen Meister nachgeahmt. Der heilige Vincenzo Grossi war ein eifriger Pfarrer, der immer die Bedürfnisse seiner Leute im Auge hatte, besonders die Anfälligkeit der jungen Menschen. Mit Leidenschaft verkündete er allen das Wort Gottes und war den am meisten Bedürftigen ein „barmherziger Samariter“.
Die heilige Maria von der Unbefleckten Empfängnis schöpfte aus den Quellen des Gebetes und der Kontemplation die Kraft für ihren persönlichen Dienst an den „Letzten“, den sie in großer Demut verrichtete und dabei den Kindern der Armen und den Kranken eine besondere Aufmerksamkeit widmete.
Die heiligen Eheleute Louis Martin und Marie-Azélie Guérin haben den christlichen Dienst in der Familie gelebt, indem sie Tag für Tag eine Umgebung voller Glauben und Liebe aufbauten; und in diesem Klima sind die Berufungen ihrer Töchter aufgekeimt, darunter auch die der heiligen Thérèse vom Kinde Jesu.
Das leuchtende Zeugnis dieser neuen Heiligen spornt uns an, auf dem Weg des frohen Dienstes an den Mitmenschen beharrlich voranzuschreiten, im Vertrauen auf die Hilfe Gottes und den mütterlichen Schutz Marias. Mögen sie nun vom Himmel aus über uns wachen und uns mit ihrer machtvollen Fürsprache unterstützen.
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