APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH CHILE UND PERU
(15.-22. JANUAR 2018)
HEILIGE MESSE VOM 3. SONNTAG IM JAHRESKREIS
PREDIGT DES HEILIGEN VATERS
Flugplatz “Las Palmas” (Lima)
Sonntag, 21. Januar 2018
»Mach dich auf den Weg und geh nach Ninive, der großen Stadt, und rufe ihr all das zu, was ich dir sagen werde!« (Jona 3,2). Mit diesen Worten wandte sich der Herr an Jona und setzte ihn in Richtung dieser großen Stadt in Bewegung, die kurz davor war, wegen ihrer vielen Übel zerstört zu werden. Auch im Evangelium erblicken wir Jesus, wie er nach Galiläa unterwegs ist, um seine frohe Botschaft zu verkünden (vgl. Mk 1,14). Beide Lesungen zeigen uns, wie Gott auf die Städte von gestern und heute zugeht. Der Herr macht sich auf den Weg: Er geht nach Ninive, nach Galiläa … nach Lima, nach Trujillo, nach Puerto Maldonado … hierher kommt der Herr. Er macht sich auf, um in unsere persönliche und konkrete Geschichte einzutreten. Das haben wir vor kurzem gefeiert: Er ist der Immanuel, der Gott, der immer mit uns sein will. Ja, hier in Lima, oder dort, wo du lebst, im gewohnheitsmäßigen Arbeitsalltag, in der vielversprechenden Erziehung der Kinder, unter deinem Sehnen und Bemühen; in der Vertrautheit des Heims und im ohrenbetäubenden Lärm unserer Straßen. Dort, inmitten der staubigen Wege der Geschichte, kommt der Herr, um dir zu begegnen.
Zuweilen kann uns das Gleiche passieren wie Jona. Unsere Städte können uns mit den schmerzhaften und ungerechten Begebenheiten, die sich täglich wiederholen, in die Versuchung führen zu flüchten, uns zu verstecken, uns zu entziehen. Und die Gründe dazu fehlen weder Jona noch uns. Mit Blick auf die Stadt könnten wir beginnen festzustellen: »Es gibt Bürger, die die angemessenen Mittel für die Entwicklung des persönlichen und familiären Lebens erhalten, und das freut uns, andererseits gibt es aber sehr viele „Nicht-Bürger“, „Halbbürger“ oder „Stadtstreicher“«[1], die unsere Wege säumen, die an den Rändern unserer Städte ohne die notwendigen Voraussetzungen leben, um ein würdiges Leben zu führen, und es schmerzt, oftmals festzustellen, dass man unter diesen „überschüssigen Menschen“ oftmals auf viele Kinder und Jugendliche trifft. Man begegnet dem Angesicht der Zukunft.
Und wenn wir diese Dinge in unseren Städten, in unseren Stadtteilen sehen – die ein Raum der Begegnung und Solidarität, der Fröhlichkeit sein könnten –, so endet es darin, etwas hervorzubringen, was wir als Jonasyndrom bezeichnen könnten: einen Raum der Flucht und des Misstrauens (Jona 1,3). Ein Raum für die Gleichgültigkeit, der uns gegenüber den anderen anonym und taub werden lässt, uns in unpersönliche hartherzige Wesen verwandelt und mit dieser Haltung verletzen wir die Seele des Volkes, dieses edlen Volkes. Benedikt XVI. wies uns darauf hin: »Das Maß der Humanität bestimmt sich ganz wesentlich im Verhältnis zum Leid und zum Leidenden. […] Eine Gesellschaft, die die Leidenden nicht annehmen und nicht im Mit-leiden helfen kann, Leid auch von innen zu teilen und zu tragen, ist eine grausame und inhumane Gesellschaft«.[2]
Als man Johannes gefangen nahm, begab sich Jesus nach Galiläa, um das Evangelium Gottes zu verkünden. Im Unterschied zu Jona, tritt Jesus angesichts eines schmerzlichen und ungerechten Ereignisses, wie es die Gefangennahme des Johannes war, in die Stadt ein, er betritt Galiläa und beginnt von dieser kleinen Bevölkerung aus, das auszustreuen, was der Beginn der größten Hoffnung sein sollte: Das Reich Gottes ist nahe, Gott ist unter uns. Und das Evangelium selbst zeigt uns die Freude und die Kettenreaktion, die es hervorruft: Es begann mit Simon und Andreas, dann Jakobus und Johannes (vgl. Mk 1,14-20) und von da an ist es über die heilige Rosa von Lima, den heiligen Turibio, den heiligen Martin von Porres, den heiligen Juan Macías, den heiligen Francisco Solano bis zu uns gelangt. Es wurde von dieser Wolke von Zeugen, die an ihn geglaubt haben, verkündet. Es ist bis nach Lima, bis zu uns gelangt, um sich erneut als Gegenmittel für die Globalisierung der Gleichgültigkeit einzusetzen. Denn man kann gegenüber dieser Liebe nicht gleichgültig bleiben.
Jesus rief seine Jünger auf, heute das zu leben, was den Geschmack der Ewigkeit hat: die Liebe zu Gott und zum Nächsten; und er tut es auf die einzige Weise, in der er es tun kann, auf göttliche Weise: Er erweckt die Zärtlichkeit, die barmherzige Liebe und das Mitleid; er öffnet ihre Augen, um die Wirklichkeit auf göttliche Weise anzuschauen. Er lädt sie ein, neue Verbindungen zu knüpfen, neue Bündnisse, die zur Ewigkeit führen.
Jesus zieht durch die Stadt, er tut dies mit seinen Jüngern und beginnt diejenigen, die unter dem Mantel der Gleichgültigkeit zusammengebrochen sind, die von der schweren Sünde der Korruption gesteinigt wurden, zu sehen, ihnen zuzuhören und Aufmerksamkeit zuzuwenden. Er beginnt, viele Situationen aufzudecken, die die Hoffnung ihres Volkes erstickten, und erweckt neue Hoffnung. Er ruft seine Jünger und lädt sie ein, mit ihm zu gehen, er lädt sie ein, durch die Stadt zu ziehen, aber er ändert ihren Rhythmus, er lehrt sie, das zu sehen, worüber sie bis dahin hinwegsahen, er weist sie auf neue Dringlichkeiten hin. Kehrt um, sagt er ihnen, das Himmelreich bedeutet, in Jesus Gott zu begegnen, der sich mit seinem Leben unter das seines Volkes mischt, sich dafür einsetzt und die anderen miteinbezieht, keine Angst zu haben, Geschichte zu machen, eine Geschichte des Heils (vgl. Mk 1,15.21ff).
Jesus zieht weiterhin durch unsere Straßen, er fährt wie damals fort, an unsere Türen, an unsere Herzen zu klopfen, um die Hoffnung und die Sehnsüchte erneut zu entfachen, auf dass die Herabwürdigung durch die Brüderlichkeit überwunden, die Ungerechtigkeit durch die Solidarität besiegt werde und die Gewalt durch die Waffen des Friedens ausgelöscht werde. Jesus fährt fort, uns einzuladen, und will uns mit seinem Geist salben, damit auch wir hingehen, mit dieser Salbung zu salben, welche im Stande ist, die verwundete Hoffnung zu heilen und unseren Blick zu erneuern.
Jesus geht weiter und ruft die Hoffnung wach, die uns von leeren Verbindungen und unpersönlichen Analysen befreit und uns einlädt, uns dort als Sauerteig einzubringen, wo wir sind, wo wir leben, in dieser Ecke unseres Alltags. Das Himmelreich ist unter uns – sagt er uns – es ist dort, wo wir den Mut haben, etwas Zärtlichkeit und Erbarmen zu zeigen, wo wir keine Angst haben, Räume zu schaffen, damit die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein werden und die Tauben hören (vgl. Lk 7,22) und so alle, die für uns als verloren galten, sich der Auferstehung erfreuen können. Gott wird niemals müde, sich aufzumachen, um zu seinen Kindern zu kommen – zu einem jeden von ihnen. Wie sollen wir die Hoffnung entfachen, wenn die Propheten fehlen? Wie sollen wir uns der Zukunft stellen, wenn uns die Einheit fehlt? Wie soll Jesus an so viele Orte kommen, wenn kühne und mutige Zeugen fehlen?
Heute ruft der Herr dich, mit ihm in die Stadt zu gehen, er lädt dich ein zusammen mit ihm deine Stadt zu durchwandern. Er lädt dich ein, sein missionarischer Jünger zu sein, und so Teil dieses großen Flüsterns zu werden, das man weiterhin in den unterschiedlichsten Situationen unseres Lebens hört: Freue dich, der Herr ist mit dir!
Ich danke dem Erzbischof von Lima Kardinal Juan Luis Cipriani für seine Worte, und den Bischöfen von Puerto Maldonado und Trujillo, deren kirchliches Jurisdiktionsgebiet ich während dieser Tage besuchen konnte; ich danke auch dem Präsidenten der Bischofskonferenz und meinen Brüdern im Bischofsamt für ihre Anwesenheit und euch allen, die ihr es geschafft habt, dass dieser Besuch in meinem Herzen einen tiefen Eindruck hinterlässt.
Ich danke allen, die diese Reise möglich gemacht haben – es waren viele, auch viele, die namentlich nirgends erscheinen. An erster Stelle danke ich dem Herrn Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski, den zivilen Behörden, den tausenden von Freiwilligen, die mit ihrer stillen und aufopferungsvollen Arbeit wie „Ameisen“ dazu beigetragen haben, damit alles umgesetzt werden konnte. Danke, liebe Freiwillige! Ich danke dem Organisationskomitee und allen, die mit ihrer Hingabe und ihren Bemühungen diese Begegnung möglich gemacht haben. In besonderer Weise möchte ich auch den Architekten danken, die die drei Altäre in den drei Städten geplant haben: Gott möge euch euren guten Geschmack erhalten! Es hat mir gutgetan, mich mit euch zu treffen.
Als ich meine Pilgerreise unter euch begonnen habe, sagte ich, dass Peru ein Land der Hoffnung ist. Land der Hoffnung aufgrund der Artenvielfalt, aus der es sich zusammensetzt, verbunden mit der Schönheit einer Landschaft, die uns helfen kann, die Gegenwart Gottes zu entdecken.
Land der Hoffnung aufgrund des Reichtums seiner Traditionen und Bräuche, die die Seele dieses Volkes geprägt haben.
Land der Hoffnung für die jungen Menschen, die nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart Perus sind. Sie bitte ich, die Weisheit ihrer Großeltern, ihrer älteren Mitmenschen zu entdecken, die DNA, die eure großen Heiligen geleitet hat. Liebe Jugendliche, bitte lasst euch nicht entwurzeln. Großeltern und ältere Menschen, hört nicht auf, den jungen Generationen die Wurzeln eures Volkes zu vermitteln sowie die Weisheit des Weges, um zum Himmel zu gelangen. Alle lade ich dazu ein, keine Angst zu haben, die Heiligen des 21. Jahrhunderts zu sein.
Liebe peruanische Brüder und Schwestern, ihr habt viele Gründe zur Hoffnung, ich habe es gesehen, ich habe es in diesen Tagen „mit Händen greifen können“. Bitte, bewahrt die Hoffnung, damit sie euch nicht geraubt wird. Es gibt keine bessere Weise, die Hoffnung zu bewahren, als geeint zu bleiben, damit alle diese Gründe, die sie tragen, jeden Tag weiter wachsen.
Die Hoffnung auf Gott lässt nicht zugrunde gehen (vgl. Röm 5,5).
Ich trage euch im Herzen.
Gott segne euch. Und bitte, vergesst nicht, für mich zu beten.
Danke!
[1] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 74.
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