INTERNATIONALES GEBETSTREFFEN FÜR DEN FRIEDEN:
"NIEMAND RETTET SICH ALLEIN - FRIEDEN UND GESCHWISTERLICHKEIT"
ORGANISIERT VON DER SANT'EGIDIO-GEMEINSCHAFT
Basilika Santa Maria in Aracoeli - Kapitolsplatz
Dienstag, 20. Oktober 2020
PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS
BEIM GEBET DER CHRISTEN
Basilika Santa Maria in Aracoeli
Es ist ein Geschenk, gemeinsam zu beten. Ich danke euch und grüße euch alle von Herzen, besonders meinen Bruder Seine Heiligkeit den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios und den lieben Bischof Heinrich, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der hochwürdigste Erzbischof von Canterbury Justin konnte wegen der Pandemie leider nicht kommen.
Der eben gehörte Abschnitt aus der Leidensgeschichte des Herrn gibt die Augenblicke kurz vor Jesu Tod wieder und schildert die Versuchung, die ihn überkommt, als er am Ende seiner Kräfte am Kreuz hängt. Er durchlebt Momente schlimmsten Schmerzes und größter Liebe, während ihm die Menge gnadenlos immer wieder »Rette dich selbst!« (Mk 15,30) entgegenschmettert. Es ist die zentrale Versuchung, die alle, auch uns Christen, befällt: die Versuchung, nur an das eigene Heil oder das einer bestimmten Gruppierung zu denken, nur die eigenen Probleme und Interessen im Kopf zu haben, während alles andere nicht zählt. Das ist ein sehr menschlicher, jedoch böser Instinkt, und stellt die letzte Herausforderung für den gekreuzigten Gott dar.
Rette dich selbst. Das sagten als erste »die Leute, die vorbeikamen« (V. 29). Das waren einfache Menschen, die gehört hatten, wie Jesus sprach und Wunder wirkte. Jetzt sagen sie zu ihm: »Rette dich selbst und steig herab vom Kreuz«. Sie fühlten kein Mitleid, sondern wollten ein Wunder, sie wollten sehen, wie er vom Kreuz herabsteigt. Vielleicht hätten manchmal auch wir lieber einen spektakulären Gott als einen barmherzigen, lieber einen Gott, der in den Augen der Welt stark ist, der sich mit Gewalt durchsetzt und außer Gefecht setzt, wer uns Böses antun will. Aber das ist nicht Gott, sondern unser eigenes Ego. Wie oft wünschen wir uns einen Gott nach unseren Maßstäben, anstatt dass wir uns Gottes Maßstäben anpassen; einen Gott so wie wir, anstatt dass wir wie er werden! Aber so ziehen wir der Gottesverehrung den Kult des Ich vor. Es ist ein Kult, der mit der Gleichgültigkeit gegenüber unserem Nächsten zunimmt und sich daraus speist. Die vorübergehenden Leute interessierten sich für Jesus nämlich nur zur Befriedigung der eigenen Wünsche. Als Abschaum am Kreuz interessierte er sie aber nicht mehr. Er befand sich direkt vor ihren Augen, aber weit weg von ihren Herzen. Die Gleichgültigkeit hielt sie vom wahren Angesicht Gottes fern.
Rette dich selbst. Als nächstes treten die Hohepriester und Schriftgelehrten vor. Sie waren es, die Jesus verurteilt hatten, weil er eine Gefahr für sie darstellte. Aber wir alle sind Spezialisten, andere ans Kreuz zu schlagen, nur um uns selbst zu retten. Jesus lässt sich dagegen ans Kreuz nageln, um uns zu lehren, das Böse nicht auf den Nächsten abzuwälzen. Diese Religionsführer beschuldigen ihn gerade wegen der anderen: »Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten« (V. 31). Sie kannten Jesus, sie erinnerten sich an die Heilungen und Befreiungen, die er gewirkt hatte, und ziehen einen tückischen Schluss: Sie unterstellen, dass es nichts bringt, die anderen zu heilen oder ihnen zu helfen; denn er, der sich so sehr für die andere aufgeopfert hat, verliert sein eigenes Leben! Es ist eine höhnische Anklage, die sich religiöser Begriffe bedient, wenn sie zwei Mal das Verb „retten“ verwendet. Aber das „Evangelium“ des „Rette-dich-selbst“ ist nicht das Evangelium des Heils. Es ist das falscheste unechte Evangelium, das den anderen das Kreuz auferlegt. Das wahre Evangelium hingegen nimmt die Kreuze der anderen auf die eigene Schulter.
Rette dich selbst. Zum Schluss beteiligen sich auch noch die mit Jesus Gekreuzigten an dieser herausfordernden Stimmung gegen ihn. Wie leicht ist es doch zu kritisieren, gegen jemanden zu sprechen, das Schlechte beim Nächsten und nicht bei sich selbst zu sehen und letztendlich die Schuld auf die Schwachen und Ausgegrenzten abzuwälzen! Aber warum sind die Mitgekreuzigten auf Jesus wütend? Weil er sie nicht vom Kreuz befreit. Sie sagen ihm: »Rette dich selbst und auch uns!« (Lk 23,39). Sie suchen Jesus nur zur Lösung ihrer Probleme. Aber Gott komm nicht so sehr deswegen zu uns, um uns von den immer wiederkehrenden Problemen zu befreien, sondern vielmehr, um uns vom wahren Problem zu erlösen, das der Mangel an Liebe ist. Das ist der tiefe Grund unserer persönlichen, sozialen, internationalen und ökologischen Probleme. Nur an sich selbst zu denken ist die Ursache allen Übels. Aber einer der Verbrecher betrachtet Jesus und erkennt in ihm die milde Liebe. Und er gewinnt das Paradies, weil er eines tut: Er lenkt die Aufmerksamkeit von sich auf Jesus hin, von sich weg zu dem, der an seiner Seite hing (vgl. V. 42).
Liebe Brüder und Schwestern, auf Golgatha fand das große Duell zwischen Gott, der gekommen ist, um uns zu retten, und dem Menschen, der sich selbst retten will, statt; zwischen dem Glauben an Gott und dem Kult des Ich; zwischen dem Menschen, der beschuldigt, und Gott, der entschuldigt. Und Gottes Sieg ist gekommen, seine Barmherzigkeit ist auf die Welt herabgestiegen. Vom Kreuz strömte die Vergebung, wurde die Geschwisterlichkeit wieder neu geboren: »Das Kreuz macht uns zu Geschwistern« (Benedikt XVI., Worte am Ende des Kreuzwegs, 21. März 2008). Die am Kreuz ausgebreiteten Arme Jesu kennzeichnen den Wendepunkt, denn Gott zeigt nicht mit dem Finger auf jemanden, sondern umarmt jeden. Denn nur die Liebe löscht den Hass, nur die Liebe überwindet die Ungerechtigkeit ganz und gar. Nur die Liebe macht Platz für den anderen. Nur die Liebe ist der Weg zur vollen Gemeinschaft unter uns.
Schauen wir auf den gekreuzigten Gott, und bitten wir den gekreuzigten Gott um die Gnade, dass wir noch mehr geeint und geschwisterlicher sind. Und wenn wir versucht sind, der Logik der Welt zu folgen, wollen wir an die Worte Jesu denken: »Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten« (Mk 8,35). Was in den Augen des Menschen einen Verlust bedeutet, wird für uns zum Heil. Lernen wir vom Herrn, der uns dadurch gerettet hat, dass er sich selbst entäußert hat (vgl. Phil 2,7) und anderes wurde: als Gott wurde er Mensch, als Geist wurde er Fleisch, als König Diener. Er lädt uns auch ein, „anderes zu werden“, auf andere zuzugehen. Je mehr wir mit dem Herrn Jesus Christus verbunden sind, desto offener und „universaler“ werden wir sein, weil wir uns für die anderen verantwortlich fühlen. Und der andere wird dann der Weg sein, um sich selbst zu retten: jeder andere, jeder Mensch, unabhängig von seiner Geschichte und seinem Glaubensbekenntnis – angefangen bei den Armen, die Christus am ähnlichsten sind. Der große Erzbischof von Konstantinopel, der heilige Johannes Chrysostomus, schrieb einmal: »Wenn es keine Armen gäbe, würde unser Heil großenteils zu Fall kommen« (In epistulam secundam ad Corinthios, XVII, 2). Möge der Herr uns helfen, gemeinsam auf dem Weg der Geschwisterlichkeit zu gehen, damit wir glaubwürdige Zeugen des lebendigen Gottes sein können.
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Kapitolsplatz
Liebe Brüder und Schwestern!
Es ist mir ein Grund zur Freude und ich danke Gott, hier auf dem Kapitol im Herzen Roms den verehrten Religionsführern, den werten Vertretern des öffentlichen Lebens und zahlreichen Freunden des Friedens begegnen zu dürfen. Wir haben Seite an Seite für den Frieden gebetet. Ich begrüße den Präsidenten der Republik Italien Sergio Mattarella. Und ich freue mich, meinen Bruder Seine Heiligkeit den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios erneut zu treffen. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass er und andere Persönlichkeiten trotz der erschwerten Reisebedingungen an diesem Gebetstreffen teilnehmen wollten. Im Geiste des vom heiligen Johannes Paul II. im Jahr 1986 einberufenen Treffens von Assisi begeht die Gemeinschaft Sant’Egidio jedes Jahr in einer anderen Stadt diesen Moment des Gebets und Dialogs für den Frieden zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen.
Diese Friedensvision trug einen prophetischen Samen in sich, der mit Gottes Gnade nach und nach durch neu entstandene Treffen, Friedensaktionen und ein neues Denken der Geschwisterlichkeit herangereift ist. Denn rückblickend dürfen wir, obschon es in den vergangenen Jahren leider schmerzliche Ereignisse wie Konflikte, Terrorismus oder Radikalismus zuweilen auch im Namen der Religion gab, doch fruchtbare Schritte im Dialog zwischen den Religionen erkennen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, das uns ermutigt, als Brüder und Schwestern zusammenzuarbeiten – als Brüder und Schwestern. So gelangten wir zu dem wichtigen Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt, das ich 2019 zusammen mit dem Großimam von Al-Azhar Ahmed Al-Tayyeb unterzeichnet habe.
In der Tat ist »das Gebot des Friedens [tief in die] religiösen Traditionen eingeschrieben« (Enzyklika Fratelli tutti, 284). Die Gläubigen haben verstanden, dass die Religionsverschiedenheit keine Rechtfertigung für Gleichgültigkeit oder Feindschaft ist. Im Gegenteil, vom Glauben her können wir zu „Handwerkern“ des Friedens werden und bleiben nicht länger träge Zuschauer des Übels von Krieg und Hass. Die Religionen dienen dem Frieden und der Geschwisterlichkeit. Aus diesem Grund ermutigt auch das heutige Treffen die Religionsführer und alle Gläubigen, beharrlich für den Frieden zu beten, sich niemals mit Krieg abzufinden und mit der sanften Kraft des Glaubens zu handeln, um den Konflikten ein Ende zu setzen.
Wir brauchen Frieden! Mehr Frieden! »Wir dürfen nicht gleichgültig bleiben. Die Welt hat heute einen brennenden Durst nach Frieden. In vielen Ländern leidet man unter Kriegen, die oft ausgeblendet werden, und doch immer Ursache für Leid und Armut sind« (Ansprache beim Weltgebetstag für den Frieden, Assisi, 20. September 2016). Die Welt, die Politik und die öffentliche Meinung laufen Gefahr, sich an das Übel des Krieges als naturgegebenen Begleiter in der Geschichte der Völker zu gewöhnen. »Halten wir uns nicht mit theoretischen Diskussionen auf, sondern treten wir in Kontakt mit den Wunden, berühren wir das Fleisch der Verletzten. […] Achten wir auf die Flüchtlinge, auf diejenigen, die unter atomarer Strahlung oder chemischen Angriffen gelitten haben, auf die Frauen, die ihre Kinder verloren haben, auf die Kinder, die verstümmelt oder ihrer Kindheit beraubt wurden« (Enzyklika Fratelli tutti, 261). Heute werden die Leiden des Krieges auch durch die Covid-19-Pandemie und den in vielen Ländern fehlenden Zugang zu notwendigen Behandlungen noch verschlimmert.
Die Konflikte gehen unterdessen weiter, und mit ihnen Schmerz und Tod. Kriege zu beenden ist eine unaufschiebbare Pflicht aller politischen Verantwortungsträger vor Gott. Frieden ist die oberste Priorität jeder Politik. Gott wird jeden, der den Frieden nicht gesucht oder Spannungen und Konflikte geschürt hat, für alle vergangenen Tage, Monate und Jahre, in denen die Menschen vom Krieg heimgesucht wurden, zur Rechenschaft ziehen!
Das Wort unseres Herrn Jesus Christus besticht durch seine tiefe Weisheit: »Steck dein Schwert in die Scheide» – so sagt er – »denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen« (Mt 26,52). Alle, die zum Schwert greifen, vielleicht in der Meinung, schwierige Situationen rasch lösen zu können, werden an sich selbst, an ihren Lieben, an ihren Ländern den Tod durch das Schwert erfahren. »Genug davon!« (Lk 22,38), sagt Jesus, als ihm die Jünger vor seiner Passion zwei Schwerter zeigen. „Genug davon!“: Es ist eine unmissverständliche Antwort gegen jede Gewalt. Dieses „Genug davon!“ Jesu überdauert die Jahrhunderte und ergeht mit Nachdruck auch an uns heute: Genug der Schwerter, der Waffen, der Gewalt! Schluss mit dem Krieg!
Diesen Aufruf griff der heilige Paul VI. im Jahr 1965 bei den Vereinten Nationen auf, als er sagte: »Nie wieder Krieg!« Das ist die flehentliche Bitte von uns allen, Männern und Frauen guten Willens. Es ist der Wunschtraum aller, die den Frieden suchen und aufbauen, da sie sich bewusst sind, dass jeder Krieg die Welt schlechter zurücklässt, als sie vorher war (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 261).
Wie kommen wir aus festgefahrenen Dauerkonflikten heraus? Wie lassen sich die verwickelten Knoten so vieler bewaffneter Kämpfe lösen? Wie können Konflikte verhindert werden? Wie können die Kriegsherren oder diejenigen, die auf die Stärke der Waffen vertrauen, zum Frieden bewegt werden? Kein Volk, keine soziale Gruppierung kann Frieden, Gutes, Sicherheit und Glück allein erreichen. Niemand. Die Lektion der jüngsten Pandemie besteht darin, wenn wir ehrlich sein wollen, dass sie »das Bewusstsein geweckt [hat], eine weltweite Gemeinschaft in einem Boot zu sein, wo das Übel eines Insassen allen zum Schaden gereicht. Uns wurde bewusst, dass keiner sich allein retten kann, dass man nur Hilfe erfährt, wo andere zugegen sind« (Enzyklika Fratelli tutti, 32).
Die Geschwisterlichkeit, die aus der Gewissheit erwächst, dass wir alle der einen Menschheit angehören, muss das Leben der Völker, die Gemeinschaften, Regierenden und internationalen Vereinigungen durchdringen. Auf diese Weise wird sie das Bewusstsein fördern, dass wir uns nur gemeinsam retten, wenn wir nämlich einander begegnen, miteinander verhandeln, aufhören uns gegenseitig zu bekämpfen, uns versöhnen, die Sprache der Politik und der Propaganda mäßigen und konkrete Wege zum Frieden entwickeln (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 231).
Wir sind heute Abend zusammengekommen, um als Menschen unterschiedlicher religiöser Traditionen eine Botschaft des Friedens auszusenden. So wird deutlich, dass die Religionen keinen Krieg wollen, sondern vielmehr alle, die die Gewalt religiös zu verklären suchen, Lügen strafen; sie bitten alle, für die Versöhnung zu beten und entsprechend zu handeln, damit die Geschwisterlichkeit neue Pfade der Hoffnung eröffnet. Denn mit Gottes Hilfe ist es möglich, eine Welt des Friedens aufzubauen und so, liebe Brüder und Schwestern, gemeinsam Rettung zu erlangen. Danke!
Wir sind hier in Rom im „Geist von Assisi“ zusammengekommen, geistlich verbunden mit den Glaubenden in aller Welt und mit allen Frauen und Männern guten Willens vereint. So haben wir Seite an Seite gebetet, um die Gabe des Friedens auf unsere Erde herabzuflehen. Wir gedachten der Wunden der Menschheit; wir tragen im Herzen das stille Gebet so vieler Leidender, die viel zu oft ohne Namen und ohne Stimme sind. Aus diesem Grunde fühlen wir uns verpflichtet, diesen Friedensappell zu leben und ihn den Verantwortlichen der Staaten wie auch den Bürgerinnen und Bürgern der ganzen Welt feierlich zu unterbreiten.
Auf diesem Kapitolsplatz haben kurz nach dem Ende des größten kriegerischen Konflikts, den die Geschichte je gekannt hat, die einst kriegführenden Nationen ein Bündnis geschlossen, das auf einer Vision der Einheit gründete und im vereinten Europa Wirklichkeit wurde. Heute, in dieser Zeit der Orientierungslosigkeit und getroffen von den Folgen der Covid-19- Pandemie, die den Frieden durch die Ausbreitung von Ungleichheit und Angst bedroht, sagen wir mit Nachdruck: Keiner kann sich allein retten, kein Volk, niemand!
Die Kriege und der Frieden, die Pandemien und die Gesundheit, der Hunger und der Zugang zur Nahrung, die globale Erwärmung und die Nachhaltigkeit der Entwicklung, die Wanderung von Bevölkerungsgruppen, die Beseitigung der nuklearen Gefahr und die Verringerung der Ungleichheit betreffen nicht nur einzelne Nationen. Das verstehen wir heute besser, in einer Welt, die total verbunden ist, aber oft den Sinn für die Geschwisterlichkeit verliert. Wir alle sind Brüder und Schwestern! Wir bitten den Höchsten, dass es nach dieser Zeit der Prüfung nicht mehr „die anderen“, sondern ein großes, vielfältiges „Wir“ gibt. Es ist erneut Zeit für die kühne Vision, dass der Friede möglich ist, dass eine Welt ohne Krieg keine Illusion ist. Deshalb wollen wir noch einmal sagen: „Nie wieder Krieg!“.
Leider scheint der Krieg für viele wieder ein möglicher Weg zur Lösung internationaler Streitigkeiten zu sein. Das ist aber nicht so. Bevor es zu spät ist, wollen wir alle daran erinnern, dass die Welt nach einem Krieg immer schlechter sein wird, als sie vorher war. Der Krieg ist ein Scheitern der Politik und der Menschlichkeit.
Wir appellieren an die Regierenden, dass sie die Sprache der Spaltung zurückweisen, die sich oft aus Gefühlen der Angst und des Misstrauens nährt. Sie mögen sich nicht auf Wege begeben, die keine Umkehr kennen. Schauen wir gemeinsam auf die Opfer. Es gibt so viele, zu viele noch offene Konflikte.
Den Verantwortlichen der Staaten sagen wir: Lasst uns gemeinsam an einer neuen Architektur des Friedens arbeiten. Vereinen wir unsere Kräfte für das Leben, für die Gesundheit, für die Erziehung und für den Frieden! Der Zeitpunkt ist gekommen, dass die Ressourcen, die eingesetzt wurden, um immer zerstörerischere, todbringende Waffen herzustellen, jetzt genutzt werden, um für das Leben einzutreten und für die Menschen sowie für unser gemeinsames Haus Sorge zu tragen. Verlieren wir keine Zeit! Beginnen wir mit erreichbaren Zielen: vereinen wir fortan unsere Anstrengungen, um der Verbreitung des Virus Einhalt zu gebieten, solange es noch keinen geeigneten, allgemein verfügbaren Impfstoff gibt! Diese Pandemie macht uns deutlich, dass wir alle blutsverwandt, Schwestern und Brüder sind.
Zu allen Glaubenden und zu den Frauen und Männern guten Willens sagen wir: Seien wir kreativ und werden wir zu Handwerkern des Friedens; bauen wir soziale Freundschaft auf; machen wir uns eine Kultur des Dialogs zu eigen! Der aufrichtige, beharrliche und mutige Dialog ist das Heilmittel gegen das Misstrauen, gegen die Spaltungen und gegen die Gewalt. Der Dialog löst von der Wurzel her die Ursachen der Kriege auf, die das Projekt der Geschwisterlichkeit zerstören, das zutiefst zur Berufung der Menschheitsfamilie gehört.
Keiner kann sich dem entziehen. Wir sind alle mitverantwortlich. Wir alle haben es nötig, zu vergeben und um Vergebung bitten. Die Ungerechtigkeiten der Welt und der Geschichte heilen nicht durch Hass und Rache, sondern durch Dialog und Vergebung.
Gott gebe uns allen diese Ideale ein für den Weg, den wir gemeinsam gehen; er berühre die Herzen aller und mache uns zu Boten des Friedens.
Rom, auf dem Kapitol, 20. Oktober 2020
Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana