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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
INS KÖNIGREICH BAHRAIN 

aus Anlass des "Bahrain Forum for Dialogue: East and West for Human Coexistence"
(3.- 6. NOVEMBER 2022)

HEILIGE MESSE

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS 

"Bahrain National Stadium" (Awali)
Samstag, 5. November 2022

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Von dem Messias, den Gott erwecken wird, sagt der Prophet Jesaja: „Die große Herrschaft und der Frieden sind ohne Ende“ (Jes 9,6). Es scheint ein Widerspruch zu sein: Auf dem Schauplatz dieser Welt sehen wir oft, dass der Frieden umso mehr bedroht ist, je mehr nach Macht gestrebt wird. Stattdessen kündigt der Prophet etwas ganz Neues an: Der Messias, der kommen wird, ist gewiss mächtig, aber nicht nach der Art eines Anführers, der Krieg führt und andere beherrscht, sondern als „Fürst des Friedens“ (V. 5), als derjenige, der die Menschen mit Gott und untereinander versöhnt. Die Größe seiner Macht nutzt nicht die Kraft der Gewalt, sondern die Schwäche der Liebe. Und das ist die Macht Christi: die Liebe. Und auch uns verleiht er die gleiche Macht, die Macht zu lieben, in seinem Namen zu lieben, zu lieben, wie er geliebt hat. Wie? Bedingungslos: nicht nur, wenn es gut läuft und es uns danach ist zu lieben, sondern immer; nicht nur unsere Freunde und diejenigen, die uns nahestehen, sondern alle, auch unsere Feinde. Immer und alle.

Immer lieben und alle lieben: Lasst uns darüber ein wenig nachdenken.

Zunächst laden uns die heutigen Worte Jesu (vgl. Mt 5,38-48) ein, immer zu lieben, das heißt, immer in seiner Liebe zu bleiben, sie zu pflegen und zu praktizieren, egal in welcher Situation wir leben. Aber Vorsicht: Der Blick Jesu ist konkret; er sagt nicht, dass es einfach sein wird, es geht ihm nicht um eine sentimentale oder romantische Liebe, als ob es in unseren menschlichen Beziehungen keine Momente des Konflikts und zwischen den Völkern keine Motive für Feindseligkeit gäbe. Jesus ist nicht irenisch, sondern realistisch: Er spricht ausdrücklich von „bösen Menschen“ und „Feinden“ (V. 38.43). Er weiß, dass sich in unseren Beziehungen ein täglicher Kampf zwischen Liebe und Hass abspielt; und dass auch in uns selbst jeden Tag ein Kampf zwischen Licht und Dunkelheit stattfindet, zwischen so vielen guten Absichten und Wünschen und jener sündigen Zerbrechlichkeit, die oft die Oberhand gewinnt und uns zu bösen Taten hinreißt. Er weiß auch darum, dass wir die Erfahrung machen, dass wir trotz vieler großherziger Bemühungen nicht immer das Gute erhalten, das wir uns erwarten, und dass wir unverständlicherweise manchmal sogar Böses erleiden. Und weiter sieht er, und er leidet darunter, wie in unserer Zeit in so vielen Teilen der Welt Macht ausgeübt wird, die sich aus Unterdrückung und Gewalt speist, die ihren eigenen Raum zu vergrößern sucht und dabei den der anderen einengt, ihre Herrschaft aufzwingt, die Grundfreiheiten einschränkt und die Schwachen unterdrückt. Es gibt also – so sagt Jesus – Konflikte, Unterdrückung und Feindschaft.

Angesichts all dessen müssen wir uns die wichtige Frage stellen: Was sollen wir tun, wenn wir uns in einer solchen Situation befinden? Der Rat Jesu ist überraschend, ist kühn, ist wagemutig. Er bittet die Seinen um den Mut zum Risiko, auch wenn scheinbar keine Aussicht auf Erfolg besteht. Er bittet, trotz allem, auch angesichts des Bösen und des Feindes, immer treu in der Liebe zu bleiben. Die einfache menschliche Reaktion legt uns auf das Prinzip »Auge um Auge, Zahn um Zahn« fest, aber das bedeutet, dass wir uns mit denselben Waffen des selbst erlittenen Übels Gerechtigkeit verschaffen wollen. Jesus wagt es, uns etwas Neues, etwas Anderes, etwas Undenkbares, etwas Eigenes vorzuschlagen: „Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“ (V. 39). Das ist es, was der Herr von uns verlangt: nicht irenisch von einer Welt zu träumen, die von Geschwisterlichkeit beseelt ist, sondern uns zu engagieren und bei uns selbst anzufangen, die universale Geschwisterlichkeit konkret und mutig zu leben, im Guten zu verharren, auch wenn uns Böses widerfährt, die Spirale der Rache zu durchbrechen, die Gewalt zu entwaffnen, das Herz zu entmilitarisieren. Der Apostel Paulus greift dies auf, wenn er schreibt: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“ (Röm 12,21).

Die Einladung Jesu betrifft also nicht in erster Linie die großen Fragen der Menschheit, sondern die konkreten Situationen unseres Lebens: unsere Beziehungen in der Familie, die Beziehungen in der christlichen Gemeinschaft, die Bindungen, die wir in der Arbeit und in der sozialen Wirklichkeit, in der wir uns befinden, pflegen. Es wird Reibungen geben, Momente der Spannung, es wird Konflikte, Meinungsverschiedenheiten geben, aber wer dem Fürsten des Friedens folgt, muss immer nach Frieden streben. Und der Frieden kann nicht wiederhergestellt werden, wenn ein böses Wort mit einem noch böseren beantwortet wird, wenn auf eine Ohrfeige eine weitere folgt: Nein, es ist notwendig, solche Situationen zu „entschärfen“, die Kette des Bösen zu lösen, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen, aufzuhören, Groll zu hegen, sich zu beklagen und sich selbst zu bemitleiden. Es ist notwendig, in der Liebe zu bleiben, immer: Das ist der Weg Jesu, um dem Gott des Himmels die Ehre zu geben und Frieden auf Erden zu schaffen. Immer lieben.

Kommen wir nun zum zweiten Aspekt: alle lieben. Wir können uns auf die Liebe verpflichten, aber es genügt nicht, wenn wir sie auf den engen Bereich derer beschränken, von denen wir ebenso viel Liebe bekommen, die unsere Freunde, unsere Gleichgesinnten, unsere Verwandten sind. Auch hier ist die Einladung Jesu überraschend, weil sie die Grenzen des Gesetzes und des gesunden Menschenverstandes erweitert: Schon allein den Nächsten zu lieben, diejenigen, die uns nahestehen, ist fordernd, auch wenn es vernünftig ist. Im Allgemeinen ist es das, was eine Gemeinschaft oder ein Volk zu tun versuchen, um den Frieden in ihrem Inneren zu bewahren: Wenn man zur gleichen Familie oder zur gleichen Nation gehört, wenn man die gleichen Ideen oder den gleichen Geschmack hat, wenn man sich zum gleichen Glauben bekennt, ist es normal, dass man versucht, einander zu helfen und gut zueinander zu sein. Aber was passiert, wenn die, die weit weg sind, in unsere Nähe kommen, wenn die, welche fremd und anders sind oder ein anderes Glaubensbekenntnis haben, unsere Nachbarn werden? Gerade dieses Land ist ein lebendiges Bild für das Zusammenleben in der Vielfalt, für unsere Welt, die immer mehr von der ständigen Migration der Völker und dem Pluralismus der Ideen, der Bräuche und der Traditionen geprägt ist. Es ist also wichtig, diese Provokation Jesu aufzunehmen: „Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner?“ (Mt 5,46). Wenn wir Kinder des Vaters sein und eine Welt von Geschwistern aufbauen wollen, besteht die wahre Herausforderung darin, dass wir lernen, jeden zu lieben, auch den Feind: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen: Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (V. 43-44). In Wirklichkeit bedeutet dies, dass man sich entscheidet, keine Feinde zu haben, im anderen kein Hindernis zu sehen, das zu überwinden ist, sondern einen Bruder und eine Schwester, die es zu lieben gilt. Den Feind zu lieben heißt, den Widerschein des Himmels auf die Erde zu bringen, es heißt, den Blick und das Herz des Vaters in die Welt herabkommen zu lassen, der keine Unterschiede macht, der nicht diskriminiert, sondern „seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (vgl. V. 45).

Brüder und Schwestern, die Macht Jesu ist die Liebe und Jesus gibt uns die Kraft, so zu lieben, auf eine Weise, die uns übermenschlich erscheint. Aber eine solche Fähigkeit kann nicht nur das Ergebnis unserer eigenen Bemühungen sein, sie ist in erster Linie eine Gnade. Eine Gnade, um die man beharrlich bitten muss: „Jesus, du, der du mich liebst, lehre mich zu lieben wie du. Jesus, du, der du mir vergibst, lehre mich, zu vergeben wie du. Sende deinen Geist, den Geist der Liebe, auf mich“. Bitten wir darum. Denn oft tragen wir dem Herrn viele Bitten vor, aber das ist das Wesentliche für den Christen, im Stande sein, wie Christus zu lieben. Lieben ist das größte Geschenk, und wir erhalten es, wenn wir dem Herrn im Gebet Raum geben, wenn wir seine Gegenwart in seinem verwandelnden Wort und in der revolutionären Demut seines gebrochenen Brotes empfangen. So fallen allmählich die Mauern, die unser Herz versteifen, und wir finden Freude daran, Werke der Barmherzigkeit für alle zu tun. Dann verstehen wir, dass ein glückliches Leben über die Seligpreisungen führt und darin besteht, dass wir zu Friedensstiftern werden (vgl. Mt 5,9).

Liebe Freunde, heute möchte ich euch für euer sanftes und freudiges Zeugnis der Geschwisterlichkeit danken, dafür, dass ihr Samen der Liebe und des Friedens in diesem Land seid. Das ist die Herausforderung, vor die das Evangelium unsere christlichen Gemeinschaften und jeden Einzelnen von uns jeden Tag stellt. Und euch allen, die ihr aus den vier Ländern des Apostolischen Vikariats des Nördlichen Arabien, aus Bahrain, Kuwait, Katar und Saudi-Arabien sowie aus anderen Golfstaaten und auch aus weiteren Gebieten zu dieser Feier gekommen seid, bringe ich heute die Zuneigung und Nähe der universalen Kirche, die auf euch schaut und euch umarmt, euch liebt und euch ermutigt. Möge die Heilige Jungfrau, Unsere Liebe Frau von Arabien, euch auf eurem Weg begleiten und euch immer in der Liebe zu allen bewahren.

 



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