BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
ZUR 650-JAHR-FEIER DER UNIVERSITÄT WIEN
Seiner Magnifizenz
Professor Heinz W. Engl
Rektor der Universität Wien
Die Universität Wien feiert ihr 650-jähriges Bestehen. Dieses Jubiläum nehme ich gerne zum Anlass, um den Lehrenden und Studierenden, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und allen, die sich der »Alma Mater Rudolphina Vindobonensis « verbunden wissen und an den Feierlichkeiten zum 650. Gründungstag teilnehmen, herzliche Segensgrüße zu übermitteln.
Das dankbare Gedenken an die Stiftung der Universität Wien durch Herzog Rudolf IV. am 12. März 1365, der alsbald die päpstliche Bewilligung der Wiener Hohen Schule durch den seligen Urban V. am 18. Juni desselben Jahres folgen sollte, lädt dazu ein, über Aufgabe und Auftrag der »universitas litterarum« nachzudenken. Der Ausgang ist der Mensch selbst mit seinem Verlangen nach Erkenntnis. Er will wissen und verstehen, was ihn umgibt und wer er letztlich selber ist. Es geht aber nicht nur um ein reines Wissen-Wollen, sondern um das Erkennen, was recht, gut, wahr ist. So mag es nicht bloßer Zufall gewesen sein, dass die christliche Welt des Mittelalters, die eine tiefe Sehnsucht nach der lebendigen Wahrheit auszeichnete, den Nährboden gebildet hat, auf dem die Universität entstehen sollte. Von Anfang an stellte sich dabei heraus, dass man es mit reiner Theorie nicht bewenden lassen kann. Es wäre eine kalte Lehre, ohne Herz, wenn die Praxis nicht in den Blick genommen würde. Diesen Zusammenhang von Erkenntnis und Handeln machte die mittelalterliche Universität mit ihren klassischen vier Fakultäten von jeher deutlich.
Universität ist von ihrem Namen her immer schon auf Gesamtheit, Gemeinschaft ausgerichtet. Sie ist Raum der Begegnung und des Austausches – auf wissenschaftlicher und auf menschlicher Ebene. Die Universität Wien als größte Institution dieser Art im deutschsprachigen Raum ist »Alma Mater« für eine immense Schar von Lernenden und Lehrenden und ebenso Dach für eine Vielzahl von Fakultäten und Zentren mit einem immer umfangreicheren Angebot. Bei aller notwendigen Spezialisierung und fachlichen Beschränkung das Ganze der Universität und ihres Anspruchs nicht aus den Augen zu verlieren, ist eine bleibende Herausforderung. Wie bei einem Polyeder behält jedes Fach seine individuelle Lage gegenüber der gemeinsamen Mitte. Zur Universität gehört ferner wesentlich die Freiheit. In ihrer Autonomie ist die »universitas« allein der Autorität der Vernunft und der Wahrheit verpflichtet. Im Laufe der Geschichte fehlte es jedoch nicht an Beispielen, wo dieses Prinzip missachtet wurde. »Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei«, besagt das Staatsgrundgesetz von 1867.
Gerade deswegen muss sich heute eine Universität immer fragen, ob sie nicht Gefahr läuft, durch Einflussnahmen verschiedenster Art in der Freiheit von Forschung und Lehre beschnitten zu werden. Druck von Macht und Interessen, die Frage der Nützlichkeit, gelenkte Förderungen und die entsprechende Vergabe von Mitteln drohen zu letztbestimmenden Kriterien zu werden. Andererseits darf die Größe des Wissens und Könnens nicht die Frage nach der Wahrheit ausblenden. Bei den schier unbegrenzten Möglichkeiten von Forschung und Entwicklung darf die Vernunft nicht die Sensibilität für das Wahre, den Mut zur Wahrheit verlieren. Im Blick auf den ganzen Menschen und seine Wirklichkeit möge die Universität auch in Zukunft diese Suche wagen. Seit 650 Jahren ist die Universität Wien Generationen von Studierenden aus Österreich und vielen anderen Ländern Heimat für Bildung und Forschung. Die Feierlichkeiten und Veranstaltungen in diesem Jubiläumsjahr mögen von der eindrucksvollen Geschichte her die Horizonte des Wegs in die Zukunft beleuchten. In diesem Sinn entbiete ich Ihnen, Magnifizenz, und der ganzen Universitätsgemeinschaft meine besten Wünsche zu diesem besonderen Jubiläum der »Alma Mater Rudolphina« und erbitte Ihnen allen von Herzen Gottes reichen Segen.
Aus dem Vatikan, am 12. März 2015
Franziskus
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