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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
BEI DER 66. GENERALVERSAMMLUNG
DER ITALIENISCHEN BISCHOFSKONFERENZ

Synodenhalle
Montag, 19. Mai 2014

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[nach dem gemeinsamen Gebet]

Es hat mich immer beeindruckt, wie dieses Gespräch zwischen Jesus und Petrus endet: »Folge mir nach!« (Joh21,19). Das letzte Wort. Petrus war in jenem Augenblick durch viele Gemütszustände hindurchgegangen: die Scham, weil er sich daran erinnerte, dass er Jesus dreimal verleugnet hatte, und dann etwas Verlegenheit – er wusste nicht, was er antworten sollte – und dann der Friede. »Folge mir nach!«: Das schenkte ihm Ruhe. Aber dann kam der Versucher nochmals, die Versuchung der Neugier: »Sag mir, Herr, was kannst du mir über diesen [Johannes] sagen? Was wird mit ihm?« »Was geht das dich an? Du aber folge mir nach!« Ich würde gerne weggehen und nur diese Botschaft hinterlassen… Das habe ich gespürt, als ich hörte: »Was geht das dich an? Du aber folge mir nach!« Jesus nachfolgen: Das ist wichtig! Es ist unsererseits wichtiger. Das hat mich schon immer beeindruckt… Ich danke euch für diese Einladung, ich danke dem Präsidenten für seine Worte. Ich danke den Mitgliedern des Präsidiums… In einer Zeitung stand über die Mitglieder des Präsidiums: »Der ist ein Mann des Papstes, der ist kein Mann des Papstes, der ist ein Mann des Papstes…« Aber das Präsidium, diese fünf oder sechs Personen, sind alle Männer des Papstes! Um in dieser »politischen « Sprache zu reden… Aber wir müssen die Sprache der Gemeinschaft gebrauchen. Die Presse erfindet ja manchmal viele Dinge, nicht wahr?

Bei meiner Vorbereitung auf diese gnadenreiche Begegnung habe ich mehrmals über die Worte des Apostels nachgedacht, die zum Ausdruck bringen, was ich – was wir alle – im Herzen haben: »Ich sehne mich danach, euch zu sehen; ich möchte euch geistliche Gaben vermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet, oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben« (Röm1,11-12).

In diesem Jahr habe ich versucht, mich auf die Spur eines jeden von euch zu begeben: In persönlichen Begegnungen, Audienzen sowie Besuchen vor Ort habe ich zugehört und den Bericht über die pastoralen Hoffnungen, Müdigkeiten und Sorgen geteilt; am selben Tisch haben wir uns gestärkt und haben im gebrochenen Brot den Duft einer Begegnung gefunden, den eigentlichen Beweggrund unseres Hingehens zur Stadt der Menschen, mit frohem Angesicht und in der Bereitschaft, Gegenwart und Evangelium des Lebens zu sein. Verbunden mit der Dankbarkeit für euren großherzigen Dienst möchte ich euch jetzt einige Reflexionen anbieten, um den Dienst zu überdenken, auf dass er immer mehr dem Willen dessen entspreche, der uns die Leitung seiner Kirche anvertraut hat.

Auf uns schaut das gläubige Volk. Das Volk schaut auf uns! Ich erinnere mich an einen Film: »I bambini ci guardano – Die Kinder blicken uns an«; er war schön. Das Volk schaut auf uns. Es schaut auf uns, um Hilfe dabei zu bekommen, die Einmaligkeit des eigenen Alltags im Zusammenhang mit dem Plan der göttlichen Vorsehung zu begreifen. Unsere Sendung ist anspruchsvoll: Sie erfordert, den Herrn zu kennen, ja in ihm zu wohnen – und gleichzeitig im Leben unserer Teilkirchen unsere Wohnstatt zu nehmen und ihre Gesichter, Nöte und Ressourcen zu erkennen. Wenngleich die Synthese dieses zweifachen Erfordernisses der Verantwortung jedes einzelnen anvertraut ist, so gibt es dennoch gemeinsame Wesenszüge. Und heute möchte ich auf drei von ihnen hinweisen, die dazu beitragen, unser Profil auszumachen als Hirten einer Kirche, die vor allem Gemeinschaft des Auferstandenen ist, also sein Leib, und letztendlich Vorwegnahme und Verheißung des Reiches Gottes. Auf diese Weise möchte ich – zumindest indirekt – auch jenen entgegenkommen, die sich fragen, welche Erwartungen der Bischof von Rom an den italienischen Episkopat stellt.

1. Hirten einer Kirche, die Gemeinschaft des Auferstandenen ist

Fragen wir uns also: Wer ist Jesus Christus für mich? Wie hat er die Wahrheit meiner Geschichte geprägt? Was sagt mein Leben über ihn? Der Glaube, Brüder, ist lebendige Erinnerung an eine Begegnung. Sie wird gespeist aus dem Feuer des Wortes, das den Dienst formt und unser ganzes Volk salbt; der Glaube ist ein Siegel, das dem Herzen aufgeprägt ist: Ohne diesen Schutz, ohne das beharrliche Gebet ist der Hirte der Gefahr ausgesetzt, sich des Evangeliums zu schämen und am Ende das Ärgernis des Kreuzes in weltlicher Weisheit zu verwässern.

Die Versuchungen, die danach streben, den Primat Gottes und seines Christus zu verdunkeln, sind »Legion« im Leben des Hirten: Sie reichen von der Lauheit, die zur Mittelmäßigkeit verkommt, bis zur Suche nach einem ruhigen Leben, das Verzicht und Opfer scheut. Versuchungen sind die pastorale Eile ebenso wie ihre Stiefschwester, jene Trägheit, die zur Unduldsamkeit führt, gleichsam als wäre alles nur eine Last. Versuchung ist die Anmaßung dessen, der sich einbildet, nur auf die eigenen Kräfte zählen zu können, auf den Reichtum an Ressourcen und Strukturen, auf die Organisationsstrategien, die er ins Feld zu führen weiß. Versuchung ist, sich an die Traurigkeit zu gewöhnen, die jede Erwartung und Schöpferkraft auslöscht, die unzufrieden und somit unfähig macht, in das Leben unseres Volkes einzutreten und es im Licht des Ostermorgens zu verstehen.

Brüder, wenn wir uns von Jesus Christus entfernen, wenn die Begegnung mit ihm ihre Frische verliert, dann sind wir am Ende nur von der Unfruchtbarkeit unserer Worte und unserer Initiativen überzeugt. Denn die Pastoralpläne sind nützlich, aber unser Vertrauen liegt an anderer Stelle: im Geist des Herrn, der uns – je nachdem, wie fügsam wir sind – unablässig die Horizonte der Sendung weit öffnet. Um zu verhindern, dass wir auf den Klippen stranden, darf unser geistliches Leben sich nicht auf einige religiöse Augenblicke beschränken. In der Abfolge der Tage und Jahreszeiten, im Wechsel der Zeiten und der Ereignisse müssen wir uns darin üben, uns selbst zu betrachten, indem wir auf den schauen, der nicht vergeht: Spiritualität ist Rückkehr zum Wesentlichen, zu jenem Gut, das uns keiner nehmen kann, das eine, das wirklich notwendig ist. Auch in den Augenblicken der Trockenheit, wenn die pastoralen Situationen schwierig werden und man den Eindruck hat, alleingelassen zu sein, ist es ein Mantel des Trostes, der größer ist als jeder Bitterkeit; es ist das Maß der Freiheit vom Urteil des sogenannten »Gemeinsinns «, es ist Quell der Freude, die uns alles aus der Hand Gottes annehmen lässt, bis wir seine Gegenwart in allem und in allen betrachten.

Werden wir daher nicht müde, den Herrn zu suchen – uns von ihm suchen zu lassen –, in der Stille und im betenden Hören unsere Beziehung zu ihm zu pflegen. Halten wir den Blick fest auf ihn, den Mittelpunkt der Zeit und der Geschichte, gerichtet; machen wir Raum für seine Gegenwart in uns; er ist der Anfang und die Grundlage, die unsere Schwachheiten mit Barmherzigkeit umgibt und alles verklärt und erneuert; er ist das Kostbarste, das wir unserem Volk anzubieten berufen sind. Andernfalls liefern wir es einer Gesellschaft der Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar der Verzweiflung aus. Aus ihm – auch wenn er ihn vielleicht nicht kennt – lebt jeder Mensch. Durch ihn hindurch, den Mann der Seligpreisungen – dieser Abschnitt aus dem Evangelium kehrt in meiner Meditation täglich wieder – führt das hohe Maß der Heiligkeit: Wenn wir ihm nachfolgen wollen, gibt es für uns keinen anderen Weg. Wenn wir diesen Weg mit ihm beschreiten, entdecken wir, dass wir ein Volk sind und erkennen sogar mit Staunen und Dankbarkeit, dass alles Gnade ist, selbst die Mühen und die Widersprüche des menschlichen Lebens, wenn diese mit einem Herzen gelebt werden, das offen ist für den Herrn, mit der Geduld des Handwerkers und mit dem Herzen des reuigen Sünders. So ist das Gedächtnis des Glaubens kirchliche Gemeinschaft, Zugehörigkeit: Das ist der zweite Wesenszug unseres Profils.

2. Hirten einer Kirche, die Leib des Herrn ist

Versuchen wir noch einmal, uns zu fragen: Welches Bild habe ich von der Kirche, von meiner kirchlichen Gemeinschaft? Fühle ich mich auch als ihr Sohn und nicht nur als Hirte? Kann ich Gott danken, oder nehme ich vor allem ihre Versäumnisse, Fehler und Mängel wahr? Wie sehr bin ich bereit, für sie zu leiden? Liebe Brüder, die Kirche – im Schatz ihrer lebendigen Tradition, die zuletzt im heiligen Zeugnis Johannes’ XXIII. undJohannes Pauls II. erstrahlt – ist die andere Gnade, als deren Schuldner wir uns fühlen müssen. Wenn wir in das Geheimnis des Gekreuzigten eingetreten sind, wenn wir dem Auferstandenen begegnet sind, dann kraft seines Leibes, der als solcher nur einer sein kann. Die Einheit ist Geschenk und Verantwortung: Ihr Sakrament zu sein bestimmt unsere Sendung. Sie verlangt ein Herz, das frei ist von jeglichem weltlichen Interesse, fern von Eitelkeit und Zwietracht; ein Herz, das annimmt und fähig ist, mit den anderen zu fühlen und sie auch als würdiger als sich selbst zu erachten. So rät uns der Apostel.

In dieser Perspektive klingen die Worte äußerst zeitgemäß, mit denen der Ehrwürdige Diener Gottes Papst Paul VI. – wir werden die Freude haben, ihn am kommenden 19. Oktober zum Abschluss der Außerordentlichen Versammlung der Bischofssynode über die Familie selig zu sprechen – sich vor 50 Jahren an die Mitglieder der Italienischen Bischofskonferenz wandte. Er legte den Dienst an der Einheit als »lebenswichtige Frage für die Kirche« dar: »Der Augenblick ist gekommen (und sollten wir darüber betrübt sein?), uns einen starken und erneuerten Geist der Einheit zu geben und ihn dem kirchlichen Leben in Italien aufzuprägen«. Diese Ansprache wird euch heute überreicht werden. Sie ist ein Juwel. Es ist als wäre sie gestern gehalten worden. So ist es.

Wir sind überzeugt: Das Fehlen oder zumindest die Armut an Gemeinschaft stellt den größten Stein des Anstoßes dar, die Irrlehre, die das Antlitz des Herrn entstellt und seine Kirche entzweit. Nichts rechtfertigt die Spaltung: Es ist besser nachzugeben, es ist besser zu verzichten – manchmal auch in der Bereitschaft, die Prüfung einer Ungerechtigkeit zu ertragen – als das Untergewand zu zerreißen und beim heiligen Volk Gottes Anstoß zu erregen.

Daher müssen wir als Hirten Versuchungen scheuen, die uns andernfalls entstellen: den egoistischen Umgang mit der Zeit, gleichsam als könnte es ein Wohlergehen geben, das nicht das unserer Gemeinschaften ist; das Geschwätz, die Halbwahrheiten, die zur Lüge werden, das Gejammer, das innere Enttäuschungen verrät; die Härte dessen, der ohne eigene Anteilnahme urteilt, und der Laxismus derer, die nachgeben, ohne sich des anderen anzunehmen. Noch mehr: sich vor Eifersucht verzehren, die vom Neid herbeigeführte Blindheit, der Ehrgeiz, der Strömungen, Klüngel, Parteilichkeit hervorruft. Wie leer ist der Himmel dessen, der von sich selbst besessen ist… Und dann der Rückzug, der in den Formen der Vergangenheit die verlorenen Sicherheiten sucht; und die Anmaßung derer, die die Einheit verteidigen wollen, indem sie die Vielfalt leugnen und so die Gaben erniedrigen, mit denen Gott seine Kirche auch weiterhin jung und schön macht…

In Bezug auf diese Versuchungen stellt gerade die kirchliche Erfahrung das wirksamste Gegenmittel dar. Es strömt aus von der einen Eucharistie, deren einende Kraft Brüderlichkeit erzeugt und die Möglichkeit, einander anzunehmen, zu vergeben und gemeinsam unterwegs zu sein. Aus der Eucharistie entsteht die Fähigkeit, sich eine Haltung aufrichtiger Dankbarkeit zu eigen zu machen und auch in den schwierigsten Augenblicken den Frieden zu wahren: jenen Frieden, der es gestattet, sich von den Konflikten – die sich dann manchmal als läuternder Schmelztiegel erweisen – nicht überwältigen zu lassen und sich nicht dem Traum hinzugeben, stets an anderer Stelle neu zu beginnen.

Eine eucharistische Spiritualität verlangt Teilhabe und Kollegialität, für eine pastorale Entscheidungsfindung, die im Dialog, in der Suche und im Bemühen, gemeinsam zu denken, genährt wird: Nicht umsonst führt Paul VI. in der erwähnten Ansprache – nachdem er das Konzil als »eine Gnade«, einen »unvergleichlichen Augenblick «, »Höhepunkt der hierarchischen und brüderlichen Liebe«, »Stimme der Spiritualität, der Güte und des Friedens für die ganze Welt« bezeichnet hat – als »Grundtenor« die »freie und weitgreifende Möglichkeit der Untersuchung, der Diskussion und des Ausdrucks« an. Und das ist wichtig in einer Versammlung. Jeder sagt das, was er meint, den Brüdern ins Gesicht; und das baut die Kirche auf, es hilft. Es ohne Scheu einfach so zu sagen…

So kann die Bischofskonferenz lebenswichtiger Raum der Gemeinschaft im Dienst an der Einheit sein, in der Wertschätzung der Diözesen, auch der kleinsten. Werdet daher nicht müde, angefangen bei den Regionalkonferenzen zwischen euch Beziehungen zu knüpfen im Zeichen der Offenheit und der gegenseitigen Wertschätzung: Die Kraft eines Netzwerks liegt in guten Beziehungen, die die Entfernungen überwinden und die Territorien einander annähern durch den Vergleich, den Erfahrungsaustausch, das Streben nach Zusammenarbeit.

Wie ihr wisst, werden unsere Priester von den Ansprüchen des Dienstes oft auf die Probe gestellt und manchmal auch entmutigt durch die scheinbar geringen Ergebnisse: Wir müssen sie lehren, nicht dabei zu verweilen, Einnahmen und Ausgaben zu berechnen, zu überprüfen, ob das, was man gegeben zu haben meint, dann auch der Ernte entspricht: Unsere Zeit ist nicht die der Bilanz als vielmehr die der Geduld: Dies ist der Name der reifen Liebe, die Wahrheit unserer demütigen, unentgeltlichen, vertrauensvollen Selbsthingabe an die Kirche. Seid bestrebt, ihnen Nähe und Verständnis zuzusichern, sorgt dafür, dass sie sich in eurem Herzen stets zu Hause fühlen können; kümmert euch um ihre menschliche, kulturelle, affektive und geistliche Bildung; die Außerordentliche Versammlung im kommenden November, die dem Leben der Priester gewidmet ist, stellt eine Gelegenheit dar, die besonders sorgfältig vorbereitet werden muss.

Fördert das Ordensleben: Früher war seine Identität vor allem an die Werke gebunden, heute ist es eine kostbare Reserve für die Zukunft – vorausgesetzt, dass es sich als sichtbares Zeichen darstellt, als Aufruf an alle, nach dem Evangelium zu leben. Bittet die geweihten Personen, die Ordensmänner und Ordensfrauen, frohe Zeugen zu sein: Man kann nicht jammernd von Jesus erzählen. Denn wenn man die Freude verliert, sieht man auch noch die Wirklichkeit, die Geschichte und das eigene Leben in einem verzerrten Licht.

Liebt mit großherziger und völliger Hingabe die Menschen und die Gemeinden: Sie sind eure Glieder! Hört auf die Herde. Vertraut euch ihrem Spürsinn für den Glauben und für die Kirche an, der auch in vielen Formen der Volksfrömmigkeit zum Ausdruck kommt. Habt Vertrauen, dass das heilige Volk Gottes das Gespür hat, die richtigen Wege zu finden. Begleitet großherzig die wachsende Mitverantwortung der Laien; erkennt Frauen und Jugendlichen Räume des Denkens, des Planens und des Handelns zu: Mit ihren Eingebungen und ihrer Hilfe wird es gelingen, euch nicht länger bei einer bewahrenden Pastoral aufzuhalten – die in Wirklichkeit unbestimmt, diffus, zersplittert und kaum einflussreich ist –, um vielmehr eine Pastoral anzunehmen, die sich auf das Wesentliche stützt. Mit der Tiefe der einfachen Menschen fasst die heilige Thérèse vom Kinde Jesu es so zusammen: »Ihn lieben und dahin wirken, dass er geliebt wird«. Das soll auch der innere Kern der Leitlinien für die Verkündigung und die Katechese sein, denen ihr euch in diesen Tagen widmen werdet.

Brüder, in unserem oft verwirrten und zersplitterten Umfeld besteht die erste kirchliche Sendung auch weiterhin darin, Sauerteig der Einheit zu sein, der fermentiert, indem man sich zum Nächsten macht, sowie in den verschiedenen Formen der Versöhnung: Nur gemeinsam wird es uns gelingen – und das ist der abschließende Wesenszug des Profils des Hirten, Prophezeiung des Reiches Gottes zu sein.

3. Hirten einer Kirche, die Vorwegnahme und Verheißung des Reiches Gottes ist

Fragen wir uns in diesem Zusammenhang: Habe ich den Blick Gottes auf die Menschen und die Ereignisse? »Ich war hungrig…, ich war durstig…, ich war fremd…, nackt…, krank, ich war im Gefängnis« (vgl. Mt 25,31-46): Fürchte ich das Urteil Gottes? Bemühe ich mich folglich, mit weitem Herzen den Samen des guten Weizens auf dem Acker der Welt auszusäen? Auch hier treten Versuchungen zutage, die zusammen mit den bereits erwähnten dem Wachstum des Reiches Gottes, dem Plan Gottes mit der Menschheitsfamilie entgegenstehen. Sie kommen zum Ausdruck in der Unterscheidung, die wir manchmal machen zwischen »den unseren « und »den anderen«; in der Verschlossenheit derer, die überzeugt sind, genug eigene Probleme zu haben und sich nicht um die Ungerechtigkeit kümmern zu müssen, die die Probleme der anderen verursacht; im unfruchtbaren Warten derer, die nicht aus ihrer eigenen Umzäunung herauskommen und über den Marktplatz gehen, sondern zu Füßen des Glockenturms sitzenbleiben und die Welt sich selbst überlassen. Ganz anders ist der Atem, der die Kirche beseelt. Sie wird ständig bekehrt vom Reich Gottes, das sie verkündigt und dessen Vorwegnahme und Verheißung sie ist: von dem Reich, das ist und das kommt, ohne dass jemand sich anmaßen könnte, es erschöpfend zu definieren; ein Reich, das jenseits unserer Vorstellungen und Gedankengänge bleibt und größer ist als diese oder das – vielleicht einfacher – ganz klein, demütig und in der Masse der Menschheit verborgen ist, um seine Kraft nach Gottes Maßstäben zu entfalten, die im Kreuz des Sohnes offenbart werden.

Wer dem Reich Gottes dient, darf nicht der Mittelpunkt des eigenen Lebens sein, sondern muss auf die Begegnung ausgerichtet sein, die auch der Weg ist, um wirklich wiederentdecken, was wir sind: Verkünder der Wahrheit Christi und seiner Barmherzigkeit. Wahrheit und Barmherzigkeit: Wir dürfen sie nicht voneinander trennen. Nie! »Die Liebe in der Wahrheit«, hat Papst Benedikt XVI. uns in Erinnerung gerufen, »ist der hauptsächliche Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit« (Enzyklika Caritas in veritate, 1). Ohne die Wahrheit wird die Liebe zu einem leeren Behälter, den jeder nach eigenem Gutdünken füllt: Und »ein Christentum der Liebe ohne Wahrheit kann leicht mit einem Vorrat an guten, für das gesellschaftliche Zusammenleben nützlichen, aber nebensächlichen Gefühlen verwechselt werden«, die als solche keinen Einfluss haben auf die Pläne und die Aufbauprozesse der menschlichen Entwicklung (ebd., 4). Mit dieser Klarheit, liebe Brüder, möge eure Verkündigung außerdem betont sein durch die Aussagekraft der Gesten. Das lege ich euch ans Herz: die Aussagekraft der Gesten. Seid als Hirten einfach im Lebensstil, losgelöst, arm und barmherzig, um rasch voranzugehen und nichts zwischen euch und die anderen zu stellen. Seid innerlich frei, um den Menschen nahe sein zu können. Achtet darauf, ihre Sprache zu erlernen, euch jedem liebevoll zu nähern, bei den Menschen zu sein in den Nächten ihrer Einsamkeit, ihrer Unruhe und ihres Scheiterns: Begleitet sie, um ihnen das Herz zu erwärmen und sie so anzuspornen, einen sinnvollen Weg einzuschlagen, der dem Leben wieder Würde, Hoffnung und Fruchtbarkeit schenkt.

Zu den »Orten«, an denen eure Anwesenheit mir sehr notwendig und bedeutsam zu sein scheint – übermäßige Besonnenheit würde in diesem Zusammenhang zur Bedeutungslosigkeit verurteilen – gehört vor allem die Familie. Die Hausgemeinschaft ist heute stark in Mitleidenschaft gezogen von einer Kultur, die den individuellen Rechten den Vorzug gibt und eine Logik der Vorläufigkeit vermittelt. Macht euch zur überzeugten Stimme dessen, was die Grundzelle jeder Gesellschaft ist. Bezeugt ihre Zentralität und ihre Schönheit. Fördert das Leben des Menschen von der Empfängnis bis ins Alter hinein. Unterstützt die Eltern auf dem schwierigen und begeisternden Weg der Erziehung. Und vergesst nicht, euch mit dem Mitleid des Samariters über jene zu beugen, die im Gefühlsleben verletzt sind und deren Lebensplan Schaden genommen hat. Ein weiterer Raum, der heute nicht verlassen werden darf, ist der Wartesaal, der mit Arbeitslosen gefüllt ist: Arbeitslose, Kurzarbeiter, Menschen in prekären Verhältnissen, wo das Drama derer, die nicht wissen, wie sie die Familie ernähren sollen, auf das Drama derer trifft, die nicht wissen, wie sie das Unternehmen weiterführen sollen. Es ist ein historischer Notstand, der an die soziale Verantwort aller appelliert: als Kirche müssen wir dazu beitragen, nicht dem Katastrophendenken und der Resignation nachzugeben, indem wir mit jeder Form von schöpferischer Solidarität die Anstrengungen derer unterstützen, die sich der Arbeit und sogar der Würde beraubt sehen.

Das Rettungsboot, das schließlich auch noch heruntergelassen werden muss, ist die herzliche Aufnahme der Migranten: Sie fliehen vor Intoleranz, Verfolgung, fehlender Zukunft. Niemand darf seinen Blick abwenden. Die Liebe, die uns durch die Großherzigkeit vieler Menschen bezeugt wird, ist unsere Form, das Leben zu leben und zu verstehen: Kraft dieser Dynamik wird das Evangelium sich durch seine Anziehung weiter verbreiten. Allgemeiner gesagt: Die schwierigen Situationen, in denen viele unserer Zeitgenossen leben, sollen eure Aufmerksamkeit und Anteilnahme finden, in der Bereitschaft, ein Entwicklungsmodell, das die Schöpfung ausbeutet, die Menschen auf dem Altar des Profits opfert und neue Formen der Ausgrenzung und des Ausschlusses schafft, in Frage zu stellen. Eine Gesellschaft ohne Hoffnung, die in vielen ihrer grundlegenden Gewissheiten erschüttert und durch eine nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem kulturelle, moralische und geistliche Krise verarmt ist, schreit nach der Notwendigkeit eines neuen Humanismus.

Vor diesem Hintergrund muss die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung die Seele des Weges zur Vorbereitung des Nationalen Kongresses der Kirche sein, der im kommenden Jahr in Florenz stattfindet. Er soll bitte dazu beitragen, nicht auf der – wenngleich edlen – Ebene der Ideen stehenzubleiben, sondern eine Brille aufsetzen, die in der Lage ist, die Wirklichkeit zu erkennen und zu verstehen und somit Wege, sie zu lenken, mit dem Ziel, die menschliche Gemeinschaft gerechter und brüderlicher zu machen. Geht allen entgegen, die nach der Hoffnung fragen, die euch erfüllt: Nehmt ihre Kultur an, bietet ihnen mit Achtung das Gedächtnis des Glaubens und die Gesellschaft der Kirche an, also die Zeichen der Brüderlichkeit, der Dankbarkeit und der Solidarität, die in den Tagen des Menschen den Abglanz des unvergänglichen Sonntags vorwegnehmen. Liebe Brüder, unsere Zusammenkunft an diesem Nachmittag und eure Versammlung ganz allgemein ist Gnade; sie ist Erfahrung des Teilens und der Synodalität; sie ist Ursache des erneuertem Vertrauens auf den Heiligen Geist: Unsere Aufgabe ist es, den Hauch seiner Stimme zu erkennen, um ihm mit dem Angebot unserer Freiheit zu entsprechen.

Ich begleite euch mit meinem Gebet und mit meiner Nähe. Und betet für mich, vor allem am Vorabend meiner Pilgerreise nach Amman, Bethlehem und Jerusalem 50 Jahre nach der historischen Begegnung zwischen Papst Paul VI. und dem Patriarchen Athenagoras: Ich bringe mit mir eure teilhabende und solidarische Nähe zur Mutterkirche und zu den Völkern, die das gesegnete Land bewohnen, in dem unser Herr gelebt hat, gestorben und auferstanden ist. Danke.

 



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