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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH ECUADOR, BOLIVIEN UND PARAGUAY

(5.-13. JULI 2015)

 

BEGEGNUNG MIT DER WELT DER SCHULEN UND DER UNIVERSITÄTEN

ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS  

Päpstliche Katholische Universität von Ecuador, Quito
Dienstag
, 7. Juli 2015

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Liebe Brüder im Bischofsamt,
Herr Rektor,
verehrte Vertreter des öffentlichen Lebens,
liebe Professoren und Studenten,
liebe Freunde,

ich freue mich sehr, diesen Nachmittag bei Ihnen in der Päpstlichen Universität von Ecuador zu sein, die seit fast siebzig Jahren den fruchtbringenden Bildungsauftrag der Kirche im Dienst der Männer und Frauen des Landes verwirklicht und erneuert. Ich danke für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben und die mir die Sorgen und die Hoffnung vermittelt haben, die unter Ihnen angesichts der – persönlichen und gesellschaftlichen – Herausforderung der Bildung aufkommen. Ich sehe aber, dass es hier am Horizont einige Gewitterwolken aufziehen. Ich hoffe, dass kein Unwetter kommt, dass es nur ein leichter Sprühregen ist.

Im Evangelium haben wir gerade gehört, wie Jesus, der Meister, die Menschenmenge und die kleine Gruppe der Jünger lehrte und sich dabei auf ihre Auffassungsgabe einstellte. Er tat dies mit Gleichnissen, wie mit dem Gleichnis vom Sämann (Lk 8,4-15). Der Herr war immer anschaulich in der Weise, wie er lehrte. Es tat dies in einer Form, dass alle verstehen konnten. Jesus suchte nicht zu „dozieren“. Im Gegenteil, er wollte zum Herz des Menschen vordringen, zu seinem Verstand, seinem Leben, damit es Frucht bringe.

Das Gleichnis vom Sämann spricht uns vom Bebauen. Es zeigt uns die Arten des Erdreichs, des Samens, der Frucht und die Beziehung, die unter diesen entsteht. Und schon in der Genesis richtet Gott diese Einladung an den Menschen: bebauen und hüten (vgl. Gen 2,15).

Gott gibt ihm nicht nur das Leben, er gibt ihm die Erde, die Schöpfung. Er gibt ihm nicht nur eine Gefährtin zur Seite und unbegrenzte Möglichkeiten. Er richtet an ihn auch eine Einladung, er gibt ihm einen Auftrag, eine Mission. Er lädt ihn ein, an seinem Schöpfungswerk teilzunehmen und sagt zu ihm: Bebaue! Ich gebe dir das Saatgut, ich gebe dir die Erde, das Wasser, die Sonne, ich gebe dir deine Hände und die deiner Brüder und Schwestern. Da hast du es, es ist auch dein. Es ist ein Geschenk, es ist eine Gabe, ein Angebot. Es ist nichts Erworbenes, es ist nichts Gekauftes. Es geht uns voraus, und es folgt uns.

Es ist eine von Gott geschenkte Gabe, damit wir sie mit ihm zu unserer machen können. Gott will keine Schöpfung für sich, um sich selbst anzuschauen. Ganz im Gegenteil. Die Schöpfung ist eine Gabe, die geteilt werden muss. Es ist der Raum, den Gott uns gibt, um mit uns aufzubauen, um ein „Wir“ aufzubauen. Die Welt, die Geschichte, die Zeit ist der Ort, wo wir dieses Wir mit Gott aufbauen, das Wir mit den anderen, das Wir mit der Erde. Unser Leben verbirgt immer diese Einladung, eine mehr oder weniger bewusste Einladung, die immer fortbesteht.

Wir bemerken aber eine Besonderheit. In der Erzählung der Genesis steht zusammen mit dem Wort „bebauen“ unmittelbar ein anderes: „hüten“, Sorge tragen. Das eine erklärt sich vom anderen her. Sie gehen Hand in Hand. Wer nicht Sorge trägt, bebaut nicht, und wer nicht bebaut, trägt nicht Sorge.

Wir sind nicht nur eingeladen, am Schöpfungswerk teilzunehmen, indem wir die Schöpfung bebauen, wachsen lassen, entwickeln, sondern wir sind auch eingeladen, für sie Sorge zu tragen, sie zu schützen, zu bewahren. Heute drängt sich diese Einladung mit Nachdruck auf, nicht als eine bloße Empfehlung, sondern als ein Erfordernis, das wegen des Schadens entsteht, den wir aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter verursachen, die Gott in die Erde hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern. … Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen, die es heute auf der ganzen Welt gibt, diese unsere unterdrückte und verwüstete Erde (vgl. Enzyklika Laudato si’, 2).

Es besteht eine Beziehung zwischen unserem Leben und dem unserer Mutter Erde, zwischen unserer Existenz und der Gabe, die Gott uns gegeben hat. „Die menschliche Umwelt und die natürliche Umwelt verschlechtern sich gemeinsam, und wir werden die Umweltzerstörung nicht sachgemäß angehen können, wenn wir nicht auf Ursachen achten, die mit dem Niedergang auf menschlicher und sozialer Ebene zusammenhängen“ (Enzyklika Laudato si’, 48). Aber so wie wir sagen: „sie verschlechtern sich“, können wir auf gleiche Weise sagen: „sie stützen sich und sie können sich verwandeln“. Es ist eine Beziehung, die eine Möglichkeit sowohl zu Öffnung, zu Verwandlung, zu Leben als auch zu Zerstörung und zu Tod behält.

Eines ist gewiss: Wir können unserer Wirklichkeit, unseren Brüdern und Schwestern, unserer Mutter Erde nicht weiter den Rücken zukehren. Es ist uns nicht erlaubt, das, was um uns herum geschieht, zu ignorieren, als ob bestimmte Situationen nicht existieren würden und nichts mit unserer Wirklichkeit zu tun hätten. Es ist uns nicht erlaubt, mehr noch, es ist unmenschlich, das Spiel der Wegwerfkultur mitzumachen.

Einmal mehr ergeht eindringlich diese Frage Gottes an Kain: „Wo ist dein Bruder?“. Ich frage mich, ob unsere Antwort weiterhin lauten wird: „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ (Gen 4,9).

Ich lebe in Rom, im Winter ist es kalt. Es kommt vor, dass man ganz nah beim Vatikan am Morgen einen alten Mann sieht, der vor Kälte gestorben ist. In keiner Zeitung ist es eine Nachricht, in keinem Bericht des Tagesgeschehens. Ein Armer, der vor Kälte und Hunger stirbt, ist heute keine Nachricht, aber wenn die Börsen der wichtigsten Hauptstädte der Welt zwei oder drei Punkte verlieren, wird ein großer weltweiter Tumult verursacht. Ich frage mich: „Wo ist dein Bruder?“ Und ich bitte Sie, dass sich jeder Einzelne noch einmal die Frage stellt und dass er sie der Universität stellt. Ihnen, der Katholischen Universität: „Wo ist dein Bruder?“

In diesem universitären Umfeld wäre es schön, uns über unsere Erziehung angesichts dieser Erde, die zum Himmel schreit, zu fragen.

Unsere Bildungseinrichtungen sind ein Saatbeet, eine Möglichkeit, fruchtbare Erde, um sie zu hüten, zu fördern und zu schützen. Fruchtbare Erde, durstig nach Leben.

Zusammen mit Ihnen, den Erziehern, frage ich mich: Wachen Sie über Ihre Schüler, indem Sie ihnen helfen, einen kritischen Geist, einen offenen Geist zu entwickeln, der in der Lage ist, für die Welt von heute zu sorgen? Einen Geist, der fähig ist, neue Antworten zu finden auf die vielen Herausforderungen, welche die Gesellschaft heute an die Menschheit stellt? Sind Sie in der Lage, sie zu ermutigen, der Wirklichkeit, die sie umgibt, nicht mit Desinteresse zu begegnen, dem, was rundherum geschieht, nicht Desinteresse entgegenzubringen? Sind sie in der Lage, sie dazu zu ermutigen? Deswegen muss man sie aus der Aula hinausbringen, muss ihr Kopf aus der Aula hinausgehen, muss ihr Herz aus der Aula hinausgehen. Wie gelangt das Leben um uns mit seinen Fragen, seinen Fragestellungen und seinen Problemen in die Universitätsprogramme oder in die verschiedenen Bereiche der Bildungsarbeit? Wie entfachen und wie begleiten wir eine konstruktive Diskussion, die aus dem Dialog über eine menschlichere Welt entsteht? Der Dialog, dieses Wort als Brücke, dieses Wort, das Brücken schafft.

Es gibt eine Überlegung, die uns alle mit einbezieht – die Familien, die Schulen, die Lehrenden: Wie können wir unseren Jugendlichen helfen, einen Universitätsabschluss nicht mit einem Synonym für höheren Status, einem Synonym für mehr Geld oder soziales Ansehen gleichzusetzen. Es ist kein Synonym dafür. Wie helfen wir ihnen, diese Vorbereitung als ein Zeichen größerer Verantwortung gegenüber den Problemen von Heutzutage, gegenüber der Sorge für die Ärmsten, gegenüber dem Umweltschutz zu sehen.

Und ihr, liebe junge Freunde, die ihr hier seid, die Gegenwart und Zukunft Ecuadors, ihr müsst Wirbel machen. Mit euch, die ihr der Samen zur Verwandlung dieser Gesellschaft seid, möchte ich mich fragen: Wisst ihr, dass diese Zeit des Studiums nicht nur ein Recht, sondern auch ein Privileg ist, das ihr habt? Wie viele Freunde – bekannt oder unbekannt – möchten einen Platz an diesem Ort haben und haben ihn wegen verschiedener Umstände nicht erhalten? In welchem Maß hilft uns und führt uns unser Studium dazu, uns mit ihnen zu solidarisieren? Stellt euch diese Fragen, liebe junge Freunde.

Die Bildungsgemeinschaften haben eine grundlegende Rolle, eine wesentliche Rolle beim Aufbau des Bürgersinns und der Kultur. Aufgepasst! Es genügt nicht, Analysen durchzuführen und Beschreibungen der Wirklichkeit; es ist notwendig, Bereiche, Orte authentischer Forschung zu schaffen sowie Diskussionsforen, die Alternativen zu den bestehenden Problemen entwickeln, vor allem heute. Es ist notwendig, Konkretes anzugehen.

Angesichts der Globalisierung des technokratischen Paradigmas, das zu der Ansicht neigt, „jede Zunahme an Macht sei einfachhin Fortschritt; Erhöhung von Sicherheit, Nutzen, Wohlfahrt, Lebenskraft, Wertsättigung, als gingen die Wirklichkeit, das Gute und die Wahrheit spontan aus der technologischen und wirtschaftlichen Macht selbst hervor“ (Enzyklika Laudato si’, 105), wird heute von Ihnen, von mir, von allen, von uns verlangt, dass wir uns dringend dazu aufraffen, über unsere aktuelle Situation nachzudenken, zu forschen und zu diskutieren; und ich sage dringend, dass wir uns dazu aufraffen, darüber nachzudenken, welche Art von Kultur wir nicht nur für uns, sondern für unsere Kinder und unsere Enkel wollen und erstreben. Diese Erde haben wir zum Erbe, als Gabe, als Geschenk erhalten. Wir tun gut daran, uns zu fragen: Wie wollen wir sie hinterlassen? Welche Ausrichtung, welchen Sinn wollen wir dem Leben einprägen? Wozu gehen wir durch diese Welt? Wozu arbeiten wir und mühen uns ab? (vgl. Enzyklika Laudato si’, 160). Wozu studieren wir?

Die individuellen Initiativen sind immer gut und fundamental, aber es wird von uns verlangt, einen weiteren Schritt zu tun: Wir werden ermutigt, die Wirklichkeit als Einheit zu sehen und nicht bruchstückhaft; uns Fragen zu stellen, die uns alle mit einschließen, weil alles „untereinander in Beziehung steht“ (Enzyklika Laudato si’, 138). Man darf nicht zulassen, dass jemand ausgeschlossen wird.

Als Universität, als Bildungseinrichtungen, als Lehrende und Studierende fordert uns das Leben heraus, auf diese zwei Fragen zu antworten: Warum brauchen wir diese Erde? Wo ist dein Bruder, deine Schwester?

Der Heilige Geist möge uns beseelen und begleiten, denn er hat uns gerufen, uns eingeladen, uns die Möglichkeit und zugleich die Fähigkeit gegeben, unser Bestes zu geben. Er gibt uns die Kraft und das Licht, die wir brauchen. Es ist derselbe Geist, der am ersten Tag der Schöpfung über den Wassern schwebte, verwandeln und Leben geben wollte. Es ist derselbe Geist, der den Jüngern die Kraft von Pfingsten gab. Es ist derselbe Geist, der uns nicht verlässt und eins mit uns wird, damit wir neue Wege des Lebens finden. Er sei unser Begleiter und Meister auf dem Weg. Vielen Dank.

 



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