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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH THAILAND UND JAPAN
(19. - 26. NOVEMBER 2019)

BEGEGNUNG MIT DEN CHRISTLICHEN RELIGIONSFÜHRERN UND DENEN ANDERER RELIGIONEN  

ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS

Chulalongkorn-Universität (Bangkok)
Freitag, 22. November 2019

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Herr Kardinal,
Brüder im Bischofsamt,
geschätzte Vertreter der verschiedenen religiösen Bekenntnisse,
Vertreter der akademischen Gemeinschaft,
liebe Freunde,

danke für den herzlichen Empfang. Ich danke Bischof Sirisut und Dr. Bundit Eua-arporn für ihre freundlichen Worte. Ich bin dankbar für die Einladung zum Besuch dieser berühmten Universität; ich danke den Studenten, den Dozenten und den Angestellten, die diesem Haus des Studiums Leben verleihen, und ebenso für die mir angebotene Möglichkeit zum Treffen mit Vertretern der verschiedenen christlichen Gemeinschaften und mit den Verantwortlichen anderer Religionen, die uns durch ihre Anwesenheit ehren. Ich bringe Ihnen meine Dankbarkeit für Ihr Kommen sowie meine besondere Wertschätzung und Anerkennung für das kostbare kulturelle Erbe und die geistlichen Traditionen zum Ausdruck, denen Sie angehören und die Sie bezeugen.

Vor einhundertzweiundzwanzig Jahren – 1897 – besuchte König Chulalongkorn, dessen Namen diese erste Universität trägt, Rom und erhielt eine Audienz bei Papst Leo XIII.: Es war das erste Mal, dass ein nichtchristliches Staatsoberhaupt im Vatikan empfangen wurde. Die Erinnerung an diese wichtige Begegnung wie auch an seine Regierungszeit, die sich neben vielen anderen positiven Aspekten durch die Abschaffung der Sklaverei auszeichnete, fordert uns heraus und ermutigt uns dazu, aktiv und ausdauernd den Weg des Dialogs und des gegenseitigen Verständnisses zu gehen. Und dies sollte in einem Geist brüderlicher Solidarität geschehen; diese hilft uns, den vielen Sklavereien ein Ende zu setzen, die in unseren Tagen andauern – ich denke insbesondere an die Geißel des Menschenhandels.

Die Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung und Wertschätzung wie auch die Zusammenarbeit unter den Religionen ist für die heutige Menschheit dringender denn je; die Welt von heute steht vor komplexen Problemstellungen wie der wirtschaftlich-finanziellen Globalisierung und ihren schwerwiegenden Konsequenzen für die Entwicklung der jeweiligen Gesellschaften; neben den raschen Fortschritten, die scheinbar eine bessere Welt fördern, bestehen tragischer Weise zivile Konflikte fort: Konflikte im Zusammenhang mit der Migration, Flüchtlingen, Hungersnöten und kriegerischen Auseinandersetzungen; daneben gibt es ebenso Umweltschäden und die Zerstörung unseres gemeinsamen Hauses. All diese Situationen mahnen uns und erinnern uns daran, dass keine Region oder kein Bereich unserer Menschheitsfamilie in der Meinung leben oder die Zukunft gestalten kann, als ob man den anderen gegenüber isoliert und immun wäre. All diese Situationen wiederum verlangen von uns den Mut, neue Formen zum Aufbau der heutigen Geschichte zu ersinnen, ohne dabei andere herabzusetzen oder zu schmähen. Die Epochen sind vorbei, in denen das Denken einer zeitlich-räumlichen Abschottung vorherrschen und sich als wirksamer Mechanismus zur Lösung von Konflikten behaupten konnte. Heute ist es an der Zeit, sich kühn Folgendes vorzustellen: die Logik der Begegnung und des gegenseitigen Dialogs als Weg; die gemeinsame Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Kennenlernen als Methode und Kriterium. Und auf diese Weise muss ein neues Muster zur Lösung der Konflikte angeboten, zum Verständnis zwischen den Personen beigetragen und die Schöpfung bewahret werden. Ich denke, dass in diesem Bereich die Religionen wie auch die Universitäten viel beizusteuern und anzubieten haben, ohne dabei ihre eigenen Merkmale und besonderen Gaben aufgeben zu müssen; alles, was wir in diesem Sinn tun, ist ein bedeutender Schritt, um den jüngeren Generationen ihr Recht auf die Zukunft zu gewährleisten, und wird auch ein Dienst für die Gerechtigkeit und den Frieden sein. Nur so werden wir ihnen die notwendigen Werkzeuge bereitstellen, damit sie selbst die zentralen Personen bei der Gestaltung nachhaltiger und inklusiver Lebensstile seien.

Diese Zeiten verlangen von uns, dass wir feste Grundlagen schaffen, die im Respekt und der Anerkennung der Würde der Personen verankert sind sowie in der Förderung eines ganzheitlichen Humanismus, der den Schutz unseres gemeinsamen Hauses zu erkennen und einzufordern vermag; ferner in einem verantwortungsvollen Umgang, der die Schönheit und den Reichtum der Natur als ein für die Existenz wesentliches Recht bewahrt. Die großen religiösen Traditionen unserer Welt zeugen von einem transzendenten und weithin gemeinsamen geistigen Erbe, das solide Beiträge in diesem Sinn anbieten kann, wenn wir nicht die Begegnung miteinander scheuen.

Wir alle sind gerufen, nicht nur auf die Stimme der Armen in unserem Umfeld zu achten: die Ausgegrenzten, die Unterdrückten, die indigenen Völker und die religiösen Minderheiten; wir dürfen auch keine Angst haben, Foren zu bilden – wie sie sich zaghaft schon entwickeln –, in denen wir uns zusammenschließen und gemeinsam arbeiten können. Zugleich sind wir aufgerufen, für die gebotene Verteidigung der Menschenwürde und Achtung des Rechts auf Gewissens- und Religionsfreiheit einzutreten und Räume zu schaffen, in denen etwas frische Luft weht; dabei dürfen wir gewiss sein, dass »nicht alles verloren [ist], denn die Menschen, die fähig sind, sich bis zum Äußersten herabzuwürdigen, können sich auch beherrschen, sich wieder für das Gute entscheiden und sich bessern, über alle geistigen und sozialen Konditionierungen hinweg, die sich ihnen aufdrängen« (Enzyklika Laudato si’, 205).

Hier in Thailand, einem Land großer Naturschönheiten, möchte ich ein typisches Merkmal hervorheben, das ich als entscheidend und gewissermaßen als einen Teil jener Reichtümer betrachte, die zu „exportieren“ und mit anderen Regionen unserer Menschheitsfamilie zu teilen sind. Sie schätzen und sorgen für Ihre alten Menschen – sie sind ein großer Reichtum –, Sie achten sie und geben ihnen einen bevorzugten Platz. Denn sie garantieren Ihnen die notwendige Verwurzelung, damit Ihr Volk nicht im Nachlaufen hinter gewissen Slogans die Kraft verliert, die schließlich die Seele der neuen Generationen entleeren und gefährden. Mit der wachsenden Tendenz, die Werte und die lokalen Kulturen durch das Aufzwängen eines einzigen Modells in Verruf zu bringen, »erleben wir eine Tendenz zur „Homogenisierung“ der jungen Menschen, welche die ihrem Herkunftsort eigenen Unterschiede auflösen und sie in manipulierbare serienmäßig hergestellte Individuen verwandeln will. So entsteht eine kulturelle Zerstörung, die so schwerwiegend ist wie das Aussterben der Tier- und Pflanzenarten« (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit, 186). Lassen Sie weiterhin die Jugendlichen den kulturellen Schatz der Gesellschaft kennenlernen, in der sie leben. Den jungen Menschen zu helfen, dass sie den lebendigen Reichtum der Vergangenheit entdecken, dass sie die Erinnerung hochhalten und so den eigenen Wurzeln begegnen, dass sie mit den älteren Menschen zusammenkommen, das ist für ihre Weiterentwicklung und die Entscheidungen, die sie treffen müssen, ein wahrer Akt der Liebe ihnen gegenüber (vgl. ebd., 187).

Diese ganze Sicht bezieht notwendigerweise die Rolle der Bildungseinrichtungen wie diese Universität mit ein. Die Forschung und das Wissen helfen, neue Wege zu eröffnen, um die Ungleichheit unter den Personen zu vermindern, die soziale Gerechtigkeit zu stärken, die menschliche Würde zu verteidigen, neue Formen der friedlichen Lösung von Konflikten zu suchen und die Mittel zu bewahren, die unserer Erde Leben geben. Mein Dank gilt in besonderer Weise den Erziehern und Akademikern dieses Landes, die durch ihre Arbeit den heutigen und künftigen Generationen die Fähigkeiten und vor allem die Weisheit uralter Herkunft vermitteln, die es ihnen ermöglichen werden, an der Förderung des Gemeinwohls der Gesellschaft mitzuwirken.

Liebe Brüder und Schwestern, wir alle sind Glieder der Menschheitsfamilie und jeder an seinem Platz ist eingeladen, sich aktiv und direkt am Aufbau einer Kultur zu beteiligen, die auf gemeinsamen Werten ruht, die zur Einheit, zum gegenseitigen Respekt und zum harmonischen Zusammenleben führen mögen.

Einmal mehr danke ich Ihnen für Ihre Einladung und Ihre Aufmerksamkeit. Ich bete und bringe meine besten Wünsche für Ihre Bemühungen zum Ausdruck, die darauf ausgerichtet sind, der Entwicklung Thailands in Wohlstand und Frieden zu dienen. Auf Sie hier Anwesende, auf Ihre Familien und auf die, denen Sie dienen, rufe ich den göttlichen Segen herab. Und ich bitte Sie, tun Sie es bitte für mich. Danke!

 



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