ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE DELEGATION DER ITALIENISCHEN STEUERBEHÖRDE
Sala Clementina
Montag, 31. Januar 2022
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Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag und herzlich willkommen!
Ich danke dem Direktor für seine Worte der Begrüßung. Es ist mir eine Freude, Sie zu einem Moment der Reflexion über ein sehr aktuelles und für das Gemeinwohl wichtiges Thema zu empfangen. Durch Sie grüße ich alle Mitarbeiter der »Agenzia delle Entrate« auf zentraler, regionaler und Provinzebene. Ich möchte über einige Lehren des Evangeliums sprechen, die Ihnen bei Ihrer Arbeit helfen können; und ich werde dabei ausgehen von den Leitprinzipien Ihrer Behörde: Legalität, Unparteilichkeit und Transparenz.
Zunächst müssen wir jedoch daran erinnern, dass es in der Bibel nicht an Bezugnahmen auf das Thema der Steuern fehlt. Sie sind seit der Antike Teil des täglichen Lebens. Jedes Reich, das über das Heilige Land geherrscht hat, und auch die Könige von Israel haben Systeme zur Steuerzahlung eingeführt.
Am bekanntesten sind die Steuern, die die Römer zur Zeit Jesu einforderten. Sie taten dies durch die »Zollpächter«, die gegen eine beachtliche Entlohnung die Steuern eintrieben. Und unter ihnen war Zachäus (vgl. Lk 19,1-10) aus Jericho, den Jesus aufsuchte und bekehrte, worüber alle empört waren. Auch Matthäus war ein Zollpächter, den Jesus gerade dann berufen hat, als er am Zoll saß. Matthäus folgte ihm unverzüglich und wurde Jünger, Apostel und Evangelist (vgl. Mt 9,9-13). Caravaggio hat den Augenblick festgehalten, als Jesus auf ihn zeigt und ihn beruft: an das Geld geklammert war er, so. [Der Papst verdeutlicht die Worte durch eine Geste]. Und hier finden wir das, was Sie [der Direktor] zu Beginn über »miserando et eligendo« gesagt haben. Er blickt mit Barmherzigkeit – »miserando« – auf ihn und erwählt ihn – »eligendo«. Er blickt ihn an »miserando et eligendo«. Von jenem Augenblick an ist das Leben des Matthäus nicht mehr dasselbe: Es ist von der Gegenwart Christi erleuchtet und erwärmt. Und wenn wir zum Herrn beten, um eine Entscheidung zu fällen, bitten wir ihn um die Gnade, dass er uns erleuchten möge – und das muss man immer tun –, aber nicht immer bitten wir auch um die andere Gnade: dass er unser Herz erwärmen möge. Denn eine schöne Entscheidung braucht beides: den erleuchteten Verstand und das warme Herz, erwärmt von der Liebe. Vielleicht hat Matthäus weiterhin die eigenen Güter genutzt und verwaltet, und vielleicht auch die anderer, aber sicherlich mit einer anderen Logik: der Logik des Dienstes an den Bedürftigen und des Teilens mit den Brüdern und Schwestern, wie es der Meister ihn gelehrt hatte.
Die Bibel verteufelt das Geld nicht, sondern fordert dazu auf, es richtig zu gebrauchen, nicht dessen Sklave zu sein, es nicht zu vergötzen. Und es ist nicht leicht, das Geld gut zu gebrauchen, das ist nicht leicht. In diesem Zusammenhang ist die wenig bekannte Praxis der Zahlung des Zehnten sehr interessant. Es handelt sich um einen Brauch, der verschiedenen antiken Gesellschaften gemeinsam war und der vorsieht, dass dem Herrscher von Landwirten und Viehzüchtern ein Zehntel der Früchte der Erde oder der Tiere abgetreten wurde. Das Alte Testament behält diese Praxis bei, verleiht ihr aber eine andere Bedeutung. Denn der Zehnte diente dazu, den Lebensunterhalt für die Mitglieder des Stammes Levi zu sichern (vgl. Lev 27,30-33), die im Gegensatz zu allen anderen Stämmen Israels keinen Teil des Verheißenen Landes als Erbe erhalten hatten. Die Aufgabe der Leviten war, im Tempel des Herrn zu dienen und alle daran zu erinnern, dass Israel das Volk der von Gott Geretteten war. Daher konnten sie sich kein eigenes Erbe vorbehalten, sondern mussten von den Gaben der anderen Stämme leben, die daher besteuert wurden. Unter diesem Gesichtspunkt diente der für die Leviten bestimmte Zehnte dazu, im Bewusstsein des Volkes zwei Wahrheiten heranreifen zu lassen: nicht autonom zu sein, weil das Heil von Gott kommt; füreinander verantwortlich zu sein, ausgehend von den Bedürftigsten.
In diesem Rahmen werden die Prinzipien der Legalität, der Unparteilichkeit und der Transparenz zu einem wertvollen Kompass.
Legalität. Wie zu Zeiten der Bibel läuft derjenige, der die Steuern eintreibt, heute Gefahr, in der Gesellschaft als Feind angesehen zu werden, vor dem man sich hüten muss. Und leider kann sich eine gewisse Kultur des Misstrauens auch auf jene erstrecken, die beauftragt sind, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen. Und doch ist dies eine grundlegende Aufgabe, weil die Legalität alle schützt. Sie ist Garantie für Gleichheit. Die Gesetze ermöglichen es, den Grundsatz der Gleichheit dort aufrecht zu erhalten, wo die Logik der Eigeninteressen Ungleichheit hervorbringt. Die Legalität im Bereich der Steuern ist ein Weg, um die sozialen Beziehungen ins Gleichgewicht zu bringen, indem man Korruption, Ungerechtigkeit und Disparität einen Riegel vorschiebt. Aber dies erfordert eine gewisse Bildung und einen kulturellen Wandel, weil der Fiskus, wie man häufig sagt, als ein »anderen in die Tasche greifen« verstanden wird. In Wirklichkeit ist die Besteuerung ein Zeichen der Legalität und der Gerechtigkeit. Sie muss die Verteilung des Reichtums begünstigen und die Würde der Armen und am meisten Benachteiligten schützen, denen immer die Gefahr droht, von den Mächtigen erdrückt zu werden. Wenn der Fiskus gerecht ist, dann dient er dem Gemeinwohl. Setzen wir uns dafür ein, dass die Kultur des Gemeinwohls wächst – das ist wichtig! –, dass die allgemeine Bestimmung der Güter ernst genommen wird, die der erste Zweck der Güter ist, die allgemeine Bestimmung, die die Soziallehre der Kirche auch heute weiterhin lehrt, nachdem sie sie von der Schrift und den Kirchenvätern geerbt hat. Sie haben unter dem, was der Fiskus unterstützt, die Ärzte genannt. Bitte, behalten Sie das kostenlose Gesundheitssystem bei, bitte! Und das kommt vom Fiskus. Verteidigt es. Denn wir sollten nicht in ein gebührenpflichtiges Gesundheitssystem abrutschen, wo die Armen kein Recht auf gar nichts haben. Das ist etwas Schönes, das Italien hat: Bitte erhalten Sie es!
Zweitens: Unparteilichkeit. In den Augen einer Gesellschaft, die das verabsolutierte Privateigentum in den Mittelpunkt stellt und der es nicht gelingt, es dem Stil der Gemeinschaft und des Teilens zum Wohl aller unterzuordnen, scheint Ihre Arbeit eine undankbare Aufgabe zu sein. Doch können Sie neben den Fällen von Steuerhinterziehung, Schwarzgeld und verbreiteter Illegalität von der Ehrlichkeit vieler Menschen berichten, die sich ihrer Pflicht nicht entziehen, die das Vorgeschriebene zahlen und so zum Gemeinwohl beitragen. Der Geißel der Steuerhinterziehung steht die einfache Aufrichtigkeit so vieler Steuerzahler gegenüber, und das ist ein Modell sozialer Gerechtigkeit. Die Unparteilichkeit Ihrer Arbeit bestätigt, dass es keine Bürger gibt, die aufgrund ihrer sozialen Zugehörigkeit besser sind als andere, sondern dass allen der gute Glaube zugesprochen wird, loyal am Aufbau der Gesellschaft mitzuwirken. Es gibt ein »Handwerk des Gemein-wohls«, von dem erzählt werden sollte, denn die ehrlichen Gewissen sind der wahre Reichtum der Gesellschaft. In Bezug auf die Unparteilichkeit sind die Worte des heiligen Paulus an die Christen von Rom weiterhin aktuell: »Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, Steuer, wem ihr Steuer schuldet, Zoll, wem ihr Zoll schuldet, Furcht, wem ihr Furcht schuldet, Ehre, wem ihr Ehre schuldet« (13,7). Es geht nicht darum, jede Art von Macht zu rechtfertigen, sondern jedem Einzelnen zu helfen, »allen Menschen gegen-über auf Gutes bedacht« (Röm 12,17) zu sein.
Drittens: Transparenz. Die Begebenheit mit Zachäus, von der das Evangelium berichtet, verweist auf die Bekehrung eines Mannes, der nicht nur die eigene Sünde erkennt, die Armen betrogen zu haben, sondern der vor allem versteht, dass die Logik des Für-sich-selbst-Anhäufens ihn von den anderen isoliert hat. Aus diesem Grund gibt er zurück und teilt. Er ist im Herzen berührt worden von der ohne Gegenleistung geschenkten Liebe Jesu, der gerade in sein Haus kommen wollte. Und dann erklärt er offen, was er tun wird: Die Hälfte seines Besitzes will er den Armen geben und denen, von denen er zu viel gefordert hat, wird er das Vierfache zurückgeben. Er gibt es ihnen mit großzügigen Zinsen zurück! Auf diese Weise verleiht er dem Geld, das durch seine Hände geht, Transparenz. Transparentes Geld: das ist das Ziel. Der Fiskus wird oft negativ gesehen, wenn man nicht versteht, wo und wie die öffentlichen Mittel ausgegeben werden. Es besteht das Risiko, Verdacht und Unmut zu schüren. Wer das Vermögen aller verwaltet, hat die hohe Verantwortung, sich nicht selbst zu bereichern.
Im Jahr 1948 schrieb Don Primo Mazzolari Folgendes an die Politiker, die ins Parlament gewählt worden waren: »Denen, die nicht alle Nöte der anderen lindern konnten, wird viel vergeben werden, wenn sie sich davor gehütet haben, für sich selbst Abhilfe zu schaffen. Es ist nicht immer möglich, das Elend unseres Nächsten zu lindern, aber es ist immer möglich, sich nicht auf Kosten des Elends selbst zu bereichern. Dies ist die erste Pflicht, das erste christliche Zeugnis. Angesichts der allgemeinen Bedrängnis scheinen reine Hände eine dürftige Vorstellung zu sein, aber die Armen denken nicht so. Die Armen messen daran nicht unsere Ehrlichkeit, sondern unsere Solidarität, die dann der Maßstab für unsere Liebe ist.« Transparenz in der Verwaltung des Geldes, das den Opfern vieler Arbeiter und Arbeiterinnen entstammt, offenbart die Freiheit des Geistes und trägt dazu bei, dass die Menschen mit größerer Motivation Steuern zahlen, vor allem wenn die Steuereinnahmen dazu beitragen, die Ungleichheiten zu überwinden, Investitionen für mehr Arbeitsplätze zu tätigen, und um ein gutes Gesundheitswesen und Ausbildung für alle zu garantieren sowie Infrastrukturen zu schaffen, die das soziale und wirtschaftliche Leben erleichtern.
Liebe Brüder und Schwestern, der heilige Matthäus behüte Sie und unterstütze Ihren Einsatz auf dem Weg der Legalität, der Unparteilichkeit und der Transparenz. Das ist nicht leicht, aber lehren Sie uns dies: Setzen Sie sich ein, damit wir alle dies verstehen. Diese Dinge sind wichtig. Auch ich begleite Sie mit meinem Gebet und meinem Segen und auch mit meiner Nähe. Und ich bitte Sie, für mich zu beten. Danke.
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