ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE TEILNEHMER EINES SOZIALPOLITISCHEN KOLLOQUIUMS DER UNIVERSITÄT AUGSBURG
Samstag, 8. April 1995
Liebe Professoren, Assistenten und Mitarbeiter der Universität Augsburg!
Anlässlich Ihres interdisziplinären sozialpolitischen Kolloquiums in Rom heiße ich Sie im Vatikan herzlich willkommen. Mein Dank gilt Ihnen allen für diese Initiative kollegialer, fächerübergreifender Gesprächskontakte.
Sie tragen Verantwortung im akademischen, teilweise auch im gesellschaftspolitischen Bereich. Das Kolloquium sollte auch eine Einladung sein, die Auswirkung zweier Extremantworten auf das tägliche Leben von Millionen von Menschen hinsichtlich der Wirtschafts - und Sozialordnung zu bedenken: auf der einen Seite ein ungezügelter Kapitalismus, der die Macht, den Profit und den Kult einer oft seelenlosen Effizienz über alle anderen Erwägungen stellt, und auf der anderen Seite die gefährliche Illusion, da es eine materialistische und wesentlich atheistische ideologische Lösung sozialer Probleme gäbe.
Ich vertraue darauf, da Ihre Gespräche dazu beitragen, das feste Fundament der katholischen Soziallehre, ihre zutiefst menschliche Dimension und den Geist des Evangeliums, der sie inspiriert, noch mehr schätzen zu lernen. Die Verantwortungsträger in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur müssen sich der tiefen Wurzeln der Menschlichkeit wieder neu bewut werden, nämlich der Frage nach dem Sinn und dem Ziel.
Wenn der Mensch aus einer geistigen Mitte lebt und sich aus dieser Mitte für die Mitarbeit an der Lösung der großen Menschheitsaufgaben verantwortlich weiß, dann lässt er sich auch nicht enttäuschen und verbittern, weil er immer aus der Hoffnung lebt.
In meiner jüngsten Enzyklika Evangelium Vitae habe ich es als dringend notwendig bezeichnet, ”das Vorhandensein wesentlicher, angestammter menschlicher und sittlicher Werte wiederzuentdecken, die der Wahrheit des menschlichen Seins selbst entspringen und die Würde der Person zum Ausdruck bringen und schützen: Werte also, die kein Individuum, keine Mehrheit und kein Staat je werden hervorbringen, verändern oder zerstören können, sondern die sie nur anerkennen, achten und fördern werden müssen“ (Evangelium Vitae, 71).
Auch der noch so moderne technologische Fortschritt darf in keiner Weise den dem Menschen eigenen Bereich zunichte machen. Die Arbeit kann nie zu einer einfachen Sache herabgewürdigt noch darf der arbeitende Mensch auf die Ebene eines Rades am Triebwerk der Produktionsmaschinerie degradiert werden. Um sittliche Leitbilder aufzubauen und zu erhalten, bedarf es einer Sicht vom Menschen, die der Gerechtigkeit verpflichtet ist und die seine Würde in glaubwürdigem Handeln ausweist.
Während ich Ihnen meine Dankbarkeit für die Durchführung Ihres Kolloquiums in Rom und Ihren Beitrag zur Verbreitung der katholischen Soziallehre ausspreche, erteile ich Ihnen von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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