ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE DRITTE GRUPPE DEUTSCHER BISCHÖFE
ANLÄßLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES
Herr Kardinal,
liebe Brüder im Bischofsamt!
1. Mit "der herzlichen Liebe, die Christus Jesus zu Euch hat" (Phil 1,8) begrüße ich Euch, die dritte Gruppe der deutschen Bischöfe, zu dieser Begegnung anläßlich Eures Ad- limina-Besuches. Ich danke dem himmlischen Vater für den Einsatz, der uns in der Ausbreitung des Evangeliums verbindet (vgl. Phil 1,5), und für die Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, die uns im Dienst am Volk Gottes untereinander vereint. Mit Euch grüße ich die Teilkirchen, denen Ihr mit Hingabe vorsteht. Von der "Sorge für alle Gemeinden" (2 Kor 11,28) bewegt, bitte ich Euch, den Priestern, Diakonen, Ordensleuten und Laien Eurer Diözesen zu versichern: Der Papst nimmt an ihren Freuden und Nöten Anteil. Er betet um ihr ständiges Wachstum in der Gnade und in der Heiligkeit des Lebens. - In diesem Sinn wird Euer Ad-limina-Besuch eine geistliche Pilgerfahrt. Denn Euer Kommen ist nicht nur die Erfüllung einer verwaltungsmäßigen oder juridischen Pflicht des bischöflichen Amtes, sondern auch ein Erweis echter Brüderlichkeit und Verbundenheit in der Liebe Christi, des obersten Hirten (vgl. 1 Petr 5,4), der für die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit seine Diener sendet, "damit sie in Teilhabe an seiner Gewalt alle Völker zu seinen Jüngern machten und sie heiligten und leiteten" (Lumen gentium, 19).
Wie schon während der beiden vorausgegangenen Begegnungen mit Bischöfen Eures Landes, so möchte ich auch heute einen wesentlichen Aspekt des "allumfassenden Heilssakramentes" (Lumen gentium, 48) entfalten. Es sind Gedanken zu einem grundlegenden Thema: die Kirche als Geheimnis. Da wir uns in unserem Hirtendienst täglich auf mannigfaltigen Tätigkeitsfeldern mit so vielen Dingen beschäftigen müssen, sind hin und wieder Augenblicke nötig, die den Vorhang dessen, was unseren Blick nicht selten gefangen nimmt, lüften und die Schau dafür freigeben, was unter der Oberfläche als das eigentlich Wesentliche ruht.
2. Gern greife ich einen Gedanken auf, den mein Vorgänger seligen Angedenkens Papst Paul VI. in seiner Enzyklika Ecclesiam suam im Hinblick auf die Kirche und deren Selbstbewußtsein über ihr Sein und ihre Sendung formuliert hat. Die Einladung, die er vor fünfunddreißig Jahren mitten in die Arbeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils hineinsprach, kann heute der Kirche als Lesehilfe dienen, um die "Zeichen der Zeit" an der Schwelle zum dritten Jahrtausend in rechter Weise zu begreifen: "Die Kirche muß in diesem Augenblick über sich selbst nachdenken, um sich in der Kenntnis der göttlichen Absichten bezüglich ihrer selbst zu bestärken, um größeres Licht, neue Energien und mehr Freude in der Erfüllung ihrer Sendung zu finden und um die besten Mittel und Wege auszumachen, die ihre Beziehungen zur Menschheit unmittelbarer, wirksamer und segenbringender werden lassen" (Nr. 1). Wir dürfen Gott dafür danken, daß sich auch die Kirche unserer Tage in der Kraft des auferstandenen Herrn einsetzt, um "sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Licht offenbar werden wird" (Lumen gentium, 8).
Man darf freilich nicht vergessen, daß die Kirche selbst als "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" ein Mysterium ist. Aus gutem Grund trägt das erste Kapitel der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium den Titel "Über das Geheimnis der Kirche". Denn man kann die Kirche nicht in echter Weise erneuern, wenn man nicht von ihrem Wesen als Geheimnis ausgeht. Worauf das Konzil eindringlich hingewiesen hatte, das rief die Außerordentliche Bischofssynode zwanzig Jahre nach Abschluß der Kirchenversammlung noch einmal in Erinnerung: "In der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist, ist die Kirche in Christus das 'Mysterium' der Liebe Gottes, wie sie in der menschlichen Geschichte anwest" (Botschaft, II). Diese Wahrheit soll das Lehren, den Dienst und das seelsorgerliche Tun der ganzen Kirche prägen. Auf dieser Überzeugung bauen auch sämtliche nachkonziliaren Dokumente des Päpstlichen Lehramtes auf, die eine den Bedürfnissen der Zeit entsprechende Erneuerung der Kirche fördern wollen.
3. Es ist zudem anzumerken, daß sich dieselbe Außerordentliche Synode von 1985 nicht ohne Grund genötigt sah, ihre warnende Stimme zu erheben: Die versammelten Bischöfe räumten ein, daß "das unvollständige und selektive Lesen des Konzils und eine einseitige Darstellung der Kirche als eine nur institutionelle Größe und ihres Geheimnisses beraubt", zu ernsten Mangelerscheinungen, nicht zuletzt bei bestimmten Laienorganisationen, geführt haben, welche "die Kirche als reine Institution kritisch einschätzen" (Schlußdokument I,4). Die Folge davon ist, daß viele das Recht beanspruchen, die Kirche so zu organisieren, als sei sie eine Art Weltkonzern und damit der rein menschlichen Gestaltungskompetenz unterworfen. Doch in Wirklichkeit ist die Kirche als Geheimnis nicht "unsere", sondern "Seine" Kirche: das Volk Gottes, der Leib Christi und der Tempel des Heiligen Geistes.
Liebe Brüder im Bischofsamt! Der Apostel Paulus mahnt uns: "Prüft alles, und behaltet das Gute! (1 Thess 5,21). Aufgabe des Bischofs ist es, die Priester und alle, die in der Seelsorge Verantwortung teilen, zu ermutigen, daß sie Schritte zur geistlichen Erneuerung der Gemeinden setzen. Wer rastlos von einer Veranstaltung zur anderen eilt, dem geht rasch der Atem aus. Um der geistlichen Erschöpfung vorzubeugen, ist es immer wieder nötig, im Gebet neu Atem zu holen. Denn nicht die Pfarrei mit dem vollsten Terminkalender ist die lebendigste, sondern die Gemeinde, die als innere Mitte allen Tuns ihre Berufung ernst nimmt, durch das Hören auf das Wort Gottes und die Teilhabe an den Sakramenten die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott zu leben. Auf diese Notwendigkeit haben zahlreiche Vertreter einer von der Lehre des Konzils erfüllten Communio-Ekklesiologie hingewiesen, wobei sich gerade auch Theologen aus Eurem Land große Verdienste erworben haben.
4. Wir stehen am Ende der Vorbereitung auf das Große Jubiläum des Jahres 2000. Dieses Jahr ist der ersten Person der göttlichen Dreifaltigkeit gewidmet. Die Betrachtungen über Gott den Vater führen unweigerlich zur Kirche, was der hl. Cyprian in einer trefflichen Formel zugespitzt hat: "Gott kann der nicht zum Vater haben, der nicht die Kirche zur Mutter hat" (De ecclesiae unitate, 6).
Diese Aussage, zu der sich der Bischof von Karthago aus den Erfahrungen der Decischen Verfolgungen und den Ereignissen um die Abgefallenen veranlaßt sah, mündet in dem Wunsch, "daß womöglich keiner von den Brüdern (und Schwestern) zugrundegehe, und daß die Mutter den einen Leib des einmütigen Volkes freudig in ihren Schoß einschließe" (De ecclesiae unitate, 23). Wir alle wissen, welch großer Abstand besteht zwischen der Botschaft, die der Kirche anvertraut ist, und der menschlichen Armseligkeit derer, die das Evangelium verkünden. Wie immer auch die Geschichte über diese Schwächen urteilen mag, wir dürfen dieses Versagen nicht vergessen. Im Gegenteil: wir müssen unser Möglichstes tun, damit es der Verbreitung des Evangeliums nicht schade. Deshalb "betet, hofft und wirkt die Mutter Kirche unaufhörlich und ermahnt ihre Söhne (und Töchter) unablässig zur Läuterung und Erneuerung, damit das Zeichen Christi auf dem Antlitz der Kirche klarer erstrahle" (Lumen gentium, 15).
5. Wie sich die Kirche in ihrer mütterlichen Sorge mit den Söhnen und Töchtern solidarisiert, so steht sie ihnen gleichzeitig gegenüber. Die Mater ist auch Magistra; sie hat die Autorität, ihre Kinder zu erziehen, zu lehren und so zum Heil zu führen. Mutter Kirche gebiert, nährt und formt ihre Söhne und Töchter. Sie sammelt und sendet ihre Kinder, denen sie zugleich die Gewißheit gibt, in ihrem Mutterschoß geborgen zu sein. Zugleich betrauert sie die Abgefallenen und hält Türen zur Versöhnung offen. Gerade um Versöhnung geht es immer. Euch Hirten kommt dabei eine besondere Verantwortung zu: Als "Väter Eurer Gemeinden" habt Ihr das Recht und die Pflicht, die "mütterliche Autorität" der Kirche so auszuüben, wie es das Zweite Vatikanische Konzil klar ausgedrückt hat: Bei der Verkündigung sollen die Bischöfe "die mütterliche Sorge der Kirche um alle Menschen, seien sie gläubig oder ungläubig, unter Beweis stellen und sich mit besonderer Sorge der Armen und Schwachen annehmen. (...) Da es der Kirche aufgegeben ist, mit der menschlichen Gesellschaft, in der sie lebt, ins Gespräch zu kommen, ist es in erster Linie Pflicht der Bischöfe, zu den Menschen zu gehen und das Gespräch mit ihnen zu suchen und zu fördern. Damit immer Wahrheit mit Liebe, Einsicht mit Güte gepaart sind, muß sich dieser Heilsdialog sowohl durch Klarheit der Rede als auch zugleich durch Demut und Sanftmut auszeichnen, ferner durch gebührende Klugheit, die jedoch mit Vertrauen verbunden sein muß, das ja die Freundschaft fördert und somit darauf hinwirkt, die Geister zu einen" (Christus Dominus, 13).
6. Der mütterlichen Zuneigung der Kirche muß ein Gehorsam entsprechen, der ihren Söhnen und Töchtern aus dem Herzen kommt. In einer Zeit, da nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche so viel von Mündigkeit die Rede ist, breitet sich eine Geisteshaltung immer mehr aus, die meint, im "Abnabeln von der Kirche" zur wahren Freiheit gelangen zu können. Als Bischöfe versucht Ihr, solchen irrigen Tendenzen eine neue Richtung zu geben, indem Ihr klar und eindeutig das verkündet und vorlebt, was stets eine Lebensmaxime der großen Heiligen war: Auch in persönlich schwierigen Situationen haben sie sich niemals vom Schoß der Mutter Kirche getrennt. Dabei möchte ich noch einmal an die Analogie des Cyprian erinnern und sie vervollkommnen: Nur wer der Mutter Kirche folgt, der gehorcht auch Gott dem Vater. Der Bischof von Karthago hat diesen Gedanken fortgeführt, indem er auf die ernsten Konsequenzen hinwies, die über seine Zeit hinaus gültig bleiben: "Was immer sich vom Mutterleib trennt, das kann für sich gesondert nicht leben und atmen, das verliert die Möglichkeit des Heiles" (De ecclesiae unitate, 23).
7. Diese Überlegungen sind keineswegs wirklichkeitsfremd. Auch Ihr als Hirten Eurer Herden in Deutschland habt vor allem in diesen Jahren erfahren müssen, welches Pensum an Kraft und Energie das Leitungsamt kosten kann, wenn einzelne Gruppen versuchen, durch konzertierte Aktionen und permanenten Druck in der Kirche Veränderungen herbeizuführen, die nicht dem Willen Jesu Christi entsprechen. Angesichts dieser Lage besteht die Aufgabe des Bischofs darin, voranzugehen, den Weg zu weisen, klarzustellen, zu beschwichtigen und immer zu sammeln versuchen - alles mit den Mitteln des Dialogs. Ich bitte Euch: Werdet nicht mutlos! Laßt bei allem Hinhören und Entgegenkommen nicht zu, daß irgendeine menschliche Kraft die unauflösbaren Bande, die zwischen Euch und dem Nachfolger Petri bestehen, lockern kann!
An dieser Stelle ist es mir ein Anliegen, ein Wort an die Laien zu richten. Ich spreche meine tief empfundene Anerkennung den unzähligen Männern und Frauen aus, die ihrer Berufung als auserwähltes Geschlecht und königliche Priesterschaft (vgl. 1 Petr 2,9) glaubwürdig folgen. Im Licht ihres Tuns erinnere ich gleichzeitig an die Haltungen, mit denen die Laien ihren Bischöfen und Priestern begegnen sollen: "Den geweihten Hirten sollen sie ihre Bedürfnisse und Wünsche mit der Freiheit und dem Vertrauen, wie es den Kindern Gottes und den Brüdern in Christus ansteht, eröffnen. (...) Gegebenenfalls soll das durch die dazu von der Kirche festgesetzten Einrichtungen geschehen, immer in Wahrhaftigkeit, Mut und Klugheit, mit Ehrfurcht und Liebe gegenüber denen, die aufgrund ihres geweihten Amtes die Stelle Christi vertreten" (Lumen gentium, 37).
Die Einheit mit dem Bischof ist ja die wesentliche und unerläßliche Grundhaltung des gläubigen Katholiken. Denn man kann nicht vorgeben, auf der Seite des Papstes zu sein, ohne auch zu den mit ihm verbundenen Bischöfen zu stehen. Ebenso wenig kann man behaupten, mit den Bischöfen zu sein, ohne zum Haupt des Kollegiums zu stehen.
8. Ehrwürdige Brüder! Daß Ihr es Eurerseits nicht versäumt, vor Euren Gläubigen Zeugnis zu geben von der innerkirchlichen Communio, würdige ich mit Wertschätzung. Denn ich bin mir bewußt, daß es Eure erste Sorge ist, jegliche pastorale Initiative in einen solchen Rahmen zu stellen, daß sie sich in voller Übereinstimmung mit dem um den Nachfolger Petri gescharten Weltepiskopat befindet.
Dabei denke ich besonders an das Problem des Lebensschutzes. Hier kommt es wesentlich darauf an, daß das Zeugnis aller Bischöfe der ganzen Kirche eindeutig und einmütig ausfällt. Den Schreiben, die von mir selbst oder in meinem Auftrag verfaßt wurden, könnt Ihr entnehmen, wie sehr mir Beratung und Hilfe der schwangeren Frauen am Herzen liegen. Ich hoffe, daß diese bedeutsame Tätigkeit der Kirche in Eurem Land gemäß meiner Weisung bald endgültig neu geordnet wird. Ich bin überzeugt: Eine kirchliche Beratung, die sich durch ihre Qualität auszeichnet, wird ein sprechendes Zeichen für die Gesellschaft und ein wirksames Mittel sein, um Frauen in Not für das Leben zu gewinnen, das sie in ihrem Leibe tragen.
9. Wenn ich im Zusammenhang des Verhältnisses zwischen den geweihten Hirten und den Laien von der königlichen Priesterschaft spreche, dann möchte ich an das gemeinsame Priestertum erinnern. Dank sei Gott, daß das Zweite Vatikanische Konzil diese tiefe Wahrheit wieder neu ins Licht gerückt hat! Im Neuen Bund gibt es nur ein einziges Opfer und einen einzigen Priester: Jesus Christus. An diesem Opfer Christi haben alle Getauften, Männer wie Frauen, Anteil, denn sie "sollen sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen" (Röm 12,1). Diese Teilhabe betrifft nicht nur die priesterliche, sondern auch die prophetische und königliche Sendung Christi. Außerdem kommt dadurch die organische Verbundenheit der Kirche mit Christus zum Ausdruck, die der Epheserbrief in das Bild von Bräutigam und Braut kleidet (vgl. Eph 5,21-33).
Wir befinden uns hier mitten im Ostergeheimnis, das Gottes bräutliche Liebe in ihrer Tiefe offenbart. Christus ist der Bräutigam, weil er sich verschenkt hat: Seinen Leib hat er hingegeben und sein Blut für uns vergossen (vgl. Lk 22,19-20). Die Tatsache, daß Jesus "seine Liebe bis zur Vollendung erwiesen" hat (Joh 13,1), hebt den bräutlichen Sinn der Liebe Gottes hervor. Als Erlöser ist Christus der Bräutigam der Kirche. So dürfen wir in der Eucharistie, in der sich Christus den Leib der Kirche aufbaut, zu Recht das Sakrament des Bräutigams und der Braut sehen.
Daraus ergibt sich ein grundlegender Unterschied zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften und dem Priestertum der geweihten Amtsträger (vgl. Interdikasteriale Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester). Die Kirche braucht geweihte Priester, die bei sakramentalen Vollzügen "in persona Christi" handeln und den Bräutigam Christus gegenüber der Kirche als Braut repräsentieren. Oder anders gesagt: Die geweihten Hirten vertreten als Glieder des einen Leibes der Kirche dessen Haupt, das Christus ist. Daher sind jegliche Versuche, entweder den Laienstand zu klerikalisieren oder den Klerus zu laisieren, zurückzuweisen. Sie entsprechen nicht der geheimnisvollen Ordnung der Kirche, die ihr Stifter gewollt hat. Ebenso wenig dienen Tendenzen, die den Wesensunterschied zwischen Klerus und Laien einebnen wollen, der Weckung von Berufungen. Ich bitte Euch, liebe Brüder, die Sehnsucht nach geweihten Priestern in Euren Pfarrgemeinden unvermindert wachzuhalten. Auch eine lange Wartezeit, die der derzeitige Priestermangel mit sich bringen mag, darf eine Gemeinde nicht dazu verleiten, sich mit einem Notstand als Regel abzufinden. Priester und Laien brauchen einander notwendig. Sie können sich gegenseitig nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
10. Noch etwas verdient an dieser Stelle besondere Erwähnung: In Eurem Land wächst eine gewisse Unzufriedenheit, was die Haltung der Kirche zur Stellung der Frau anbelangt. Leider hat sich noch nicht überall das Bewußtsein die Bahn gebrochen, daß alle Aussagen, die zum gemeinsamen Priestertum der Getauften gemacht werden, auf Männer und Frauen gleichermaßen zutreffen. Ohne Zweifel ist die Würde groß, die den Frauen zukommt und der es immer noch mehr zu entsprechen gilt! Umgekehrt findet jedoch der Unterschied zu wenig Beachtung, der zwischen den menschlichen und bürgerlichen Rechten einer Person einerseits und jenen Rechten, Pflichten und damit verbundenen Funktionen, die jemand in der Kirche hat, andererseits besteht. Gerade deshalb habe ich vor einiger Zeit kraft meines Auftrags, die Brüder zu stärken, daran erinnert, "daß die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und daß sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben" (Ordinatio sacerdotalis, 4).
Als authentische Hirten Eurer Diözesen habt Ihr die Pflicht, von einzelnen oder Vereinigungen vorgetragene gegenteilige Auffassungen zurückzuweisen und zu jenem offenen und klaren Dialog in Wahrheit und Liebe einzuladen, den die Mutter Kirche über die Zukunft ihrer Töchter weiterführen muß. Zögert dabei nicht zu betonen, daß das kirchliche Lehramt diese Entscheidung nicht als Akt seiner Macht, sondern im Wissen um die Gehorsamspflicht gegenüber dem Willen des Herrn der Kirche selbst gefällt hat. Daher kommt der Lehre, daß das Priesteramt den Männern vorbehalten ist, kraft des ordentlichen und allgemeinen kirchlichen Lehramtes jener Charakter der Unfehlbarkeit zu, von dem schon Lumen gentium sprach und dem ich im Motu Proprio Ad tuendam fidem eine rechtliche Form gegeben habe: Wenn die einzelnen Bischöfe, wenn auch räumlich getrennt, "in Wahrung des Gemeinschaftsbandes untereinander und mit dem Nachfolger Petri authentisch in Glaubens- und Sittensachen lehren und eine bestimmte Lehre übereinstimmend als endgültig verpflichtend vortragen, so verkündigen sie auf unfehlbare Weise die Lehre Christi" (Lumen gentium, 25; vgl. Ad tuendam fidem, 3).
Denjenigen, die die Lehre der Kirche nicht verstehen oder annehmen können, sollen wir freilich helfen, daß sie ihre Herzen und ihren Geist der Herausforderung öffnen, die der Glaube an sie stellt. Als authentische Lehrer der Kirche, die Mutter und Lehrerin ist, muß es zu unseren höchsten Prioritäten gehören, unseren Gemeinschaften im Glauben Stütze und Halt zu geben. Dabei dürfen wir auch davor nicht zurückschrecken, gegebenenfalls Verwirrungen zu entflechten und Abwege zu korrigieren. So rufe ich die Gaben des Heiligen Geistes auf Euer Bemühen herab, der Rolle der Frau - sowohl für die Erneuerung der Gesellschaft als auch für die Wiederentdeckung des wahren Gesichts der Kirche - eine echte, der christlichen Lehre eigene Prägung zu verleihen.
11. Liebe Brüder! Bei dieser Begegnung haben wir die Kirche in erster Linie als Mysterium betrachtet. Ein Geheimnis entzieht sich letztlich dem Zugriff menschlicher Vernunft. Nur mit den Augen des Glaubens läßt es sich liebend betrachten und in seiner Tiefe erfassen. Die Bilder der Kirche von der Mutter und Lehrerin, von der Braut und vom Leib haben uns immer wieder auf Christus verwiesen, der Bräutigam und Haupt seiner Kirche ist. Ihm fühlen wir uns in unserem Hirtendienst besonders verpflichtet. So waren die Worte, die ich in den Begegnungen an Euch gerichtet habe, klar und deutlich. Ich verheimliche Euch nicht, daß ich mich in diesen Monaten manchmal wie der Apostel Paulus fühlte, als er sich mit den bekannten Worten an die Gemeinde von Korinth gewandt hatte: "Ich schrieb Euch aus großer Bedrängnis und Herzensnot, unter vielen Tränen, nicht um Euch zu betrüben, nein, um Euch meine übergroße Liebe spüren zu lassen" (2 Kor 2,4).
Sagt Euren Priestern, Diakonen und Ordensleuten: Der Papst ist ihnen nahe! Versprecht den Männern und Frauen, den Jugendlichen und Alten, den Kranken und Behinderten: Im Schoß der Mutter Kirche finden alle eine Zuflucht. Bemüht Euch mit Geduld, Vertrauen und Liebe, der einem jeden von Euch anvertrauten Ortskirche zur Seite zu stehen und sie wie eine Braut dem himmlischen Hochzeitsmahl entgegenzuführen.
Die Jungfrau Maria bitte ich um ihren Schutz und rufe sie an, damit sie Fürsprache einlege für Euch und alle, die Eurer Hirtensorge anvertraut sind. Welch kindliches Vertrauen spricht aus den Worten eines alten Gebetes, das in Eurer Heimat weit verbreitet ist: Jungfrau, Mutter Gottes mein, laß mich ganz dein eigen sein!
Es begleite Euch alle und jeden einzelnen der Apostolische Segen, den ich Euch von Herzen erteile!
Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana