ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE AUS DEM SUDAN
ANLÄßLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES
Montag, 15. Dezember 2003
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!
1. »Der Herr des Friedens aber schenke euch den Frieden zu jeder Zeit und auf jede Weise« (2 Thess 3,16). In dieser entscheidenden Stunde eurer Geschichte, in der zwei Jahrzehnte der gewaltsamen Auseinandersetzungen und des Blutvergießens endlich der Versöhnung und Befriedung zu weichen scheinen, begrüße ich euch, die Mitglieder der Katholischen Bischofskonferenz des Sudan, mit den Worten des Apostels Paulus. Diese Worte des Trostes und der Ermutigung gründen auf dem Logos, der das Leben und das Licht der Menschen ist (vgl. Joh 1,4): Jesus Christus, unsere Hoffnung und unser Friede.
Die Tage eures Besuchs »ad limina Apostolorum« sind eine besondere Zeit der Gnade, in der wir die Bande der brüderlichen Gemeinschaft und Solidarität festigen, um mit vereinten Kräften für die Frohe Botschaft des Heils Zeugnis ablegen zu können. Während wir nun gemeinsam über diesen vom Herrn erhaltenen Auftrag nachdenken wie auch über seine besonderen Auswirkungen auf euch und eure lokalen Gemeinden, möchte ich an zwei unerschrockene Glaubenszeugen erinnern, an zwei heilige Menschen, deren Lebensgeschichten ganz eng mit eurem Land verbunden sind, nämlich an die hl. Josephine Bakhita und den hl. Daniel Comboni. Ich bin überzeugt, daß das Beispiel des standhaften Einsatzes und der christlichen Nächstenliebe dieser beiden frommen Diener Gottes viel Licht auf die gegenwärtige Wirklichkeit der Kirche in eurem Land werfen kann.
2. Von früher Kindheit an lernte die hl. Josephine Bakhita die Grausamkeit und Brutalität kennen, mit denen Menschen ihre Mitmenschen behandeln können. Als junges Mädchen entführt und in die Sklaverei verkauft, war sie eng vertraut mit dem Leid und der ungerechten Behandlung, unter denen immer noch zahllose Männer und Frauen sowohl in ihrem Heimatland als auch im übrigen Teil Afrikas und in der Welt leiden. Ihr Leben spornt zum festen Vorsatz an, sich nachhaltig für die Befreiung der Menschen von Unterdrückung und Gewalt einzusetzen, indem man gewährleistet, daß ihre Menschenwürde in der vollen Ausübung ihrer Rechte geachtet wird. Von eben dieser Entschlossenheit muß heute die Kirche im Sudan geleitet werden, während die Nation den Übergang von Feindseligkeiten und Konflikten zu Frieden und Eintracht vollzieht. Die hl. Bakhita war eine beispielhafte Verfechterin wahrer Emanzipation. Ihr Leben beweist eindeutig, daß Stammesdenken und andere Formen der Diskriminierung aufgrund von ethnischer Herkunft, Sprache und Kultur nicht zu einer zivilisierten Gesellschaft passen und daß in der Gemeinschaft der Gläubigen hierfür überhaupt kein Platz ist.
Die Kirche in eurem Land weiß sehr genau um die Schwierigkeiten und die Not der Menschen, vor allem der Frauen und Kinder, die vor Krieg und Gewalt flüchten, und sie mobilisiert nicht nur ihre eigenen Ressourcen, um den Bedürfnissen dieser Personen entgegenzukommen, sondern sie stützt sich auch auf die Großzügigkeit externer Helfer und Wohltäter. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Tätigkeit des nationalen Hilfsdiensts »Sudanaid«, der unter der Schirmherrschaft des Büros für Entwicklungshilfe eurer Bischofskonferenz steht. Aufgrund der verschiedenen karitativen Projekte, für die er sich einsetzt, erfreut sich »Sudanaid« zu Recht allgemeiner Wertschätzung. Liebe Brüder, ich empfehle euch, eine solide Grundlage für die Beteiligung der Kirche in dem gegenwärtig laufenden Normalisierungsprozeß zu finden, vor allem im Hinblick auf die dringend benötigten Hilfsmaßnahmen der Kirche für die vielen Flüchtlinge und Heimatlosen, die aus ihren Häusern und von ihrem Land vertrieben worden sind.
Zudem können die vielfältigen Beiträge der Kirche zum gesellschaftlichen und kulturellen Leben des Landes euch helfen, engere und positivere Beziehungen zu den staatlichen Institutionen herzustellen. Schon jetzt ist durch die Beteiligung von Christen an der amtierenden Regierung und durch die Wiederbelebung der Kommission für den Interreligiösen Dialog eine, wenn auch vorsichtige Öffnung seitens der zivilen Autoritäten erkennbar. Ihr sollt alles in eurer Macht Stehende tun, diese Entwicklung zu fördern, und ebenso sollt ihr darauf bestehen, daß der in der Verfassung des Sudan verankerte religiöse Pluralismus gewahrt bleibt.
Im Zusammenhang damit habt ihr die Pflicht, euch mit den wichtigen Fragen des sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens des Landes zu befassen (vgl. Ecclesia in Africa, 110). Wie ihr nur allzu gut wißt, muß die Kirche ihre Stimme klar und deutlich für jene Menschen erheben, die keine Stimme haben, und ein Ferment des Friedens und der Solidarität sein, insbesondere dort, wo diese Ideale am schwächsten und am meisten gefährdet sind. Als Bischöfe dürfen eure Worte und Taten nie Ausdruck persönlicher politischer Präferenzen sein, sondern sie müssen stets die Einstellung Christi, des Guten Hirten, widerspiegeln.
3. Eingedenk des Bildes vom Guten Hirten, wende ich mich nun der Person des hl. Daniel Comboni zu, der sich als Missionspriester und Bischof unermüdlich dafür einsetzte, den Menschen in Zentralafrika – einschließlich des Sudan – Christus zu verkünden. Ein Hauptanliegen des hl. Daniel war, daß die Afrikaner bei der Evangelisierung des Kontinents eine Schlüsselrolle spielen sollten, und er wurde zur Ausarbeitung eines missionarischen Leitfadens für die Region angeregt (ein »Plan für Afrikas Wiedergeburt «), der die Mitwirkung der eingeborenen Völker selbst vorsah. Im Laufe seines missionarischen Wirkens ließ er es nie zu, daß die vielen von ihm erduldeten Notlagen (Entbehrung, Erschöpfung, Krankheit, Mißtrauen von seiten anderer) ihn von seiner Aufgabe, die Frohbotschaft Jesu Christi zu verkünden, abbrachten.
Bischof Comboni befürwortete außerdem mit Nachdruck die Inkulturation des Glaubens, und er verwendete viel Mühe darauf, sich mit den Kulturen und Sprachen der lokalen Bevölkerung, der er diente, vertraut zu machen. Auf diese Weise vermochte er das Evangelium gemäß jenen Ausdrucksformen und Bräuchen vorzustellen, die seinen Zuhörern sofort verständlich waren. Sein Leben ist für uns heute ein ganz konkretes Vorbild, und es beweist eindeutig, daß »die Evangelisierung der Kultur und die Inkulturation des Evangeliums ein wesentlicher Bestandteil der Neuevangelisierung und somit eine Aufgabe gerade des Bischofsamtes sind« (Pastores gregis, 30).
Brüder, eben diese apostolische Leidenschaft, diese missionarische Einsatzbereitschaft und diese aufrichtige Sorge für das Heil der Seelen soll ein Kennzeichen eures eigenen bischöflichen Amtes sein. Macht die Sorge für die euch anvertraute Herde zu eurer ersten und obersten Pflicht, kümmert euch um ihr geistiges und physisches Wohlergehen und verbringt einen Teil eurer Zeit mit den Gläubigen, insbesondere mit euren Priestern und den Ordensleuten eurer Diözesen. Das pastorale Amt des Bischofs »drückt sich in seinem ›Sein-für‹ die anderen Gläubigen aus, das ihn nicht aus seinem ›Sein-mit‹ ihnen herausreißt« (Pastores gregis, 10).
Bei all dem sollt ihr mit Sanftmut, aber dennoch beharrlich zur Bekehrung einladen – zu einer Bekehrung des Herzens und des Verstandes. Der Glaube wächst und reift, wenn die Jünger Christi zu einer gründlichen und systematischen Kenntnis seiner Person und Botschaft erzogen und herangebildet werden (vgl. Catechesi tradendae, 19). Daher stellt die ständige Weiterbildung der Laien eine Priorität in eurem Auftrag der Verkündigung und Lehre dar. Das Ziel der geistigen und lehramtlichen Unterweisung sollte sein, den Laien in der Ausübung ihrer prophetischen Rolle zu helfen – inmitten einer Gesellschaft, die nicht immer die Wahrheit und die Werte des Evangeliums anerkennt oder akzeptiert. Dies trifft besonders für eure Katecheten zu: Diese eifrigen Diener des Wortes benötigen eine angemessene, sowohl spirituelle als auch intellektuelle Ausbildung, aber auch moralische und materielle Unterstützung (vgl. Ecclesia in Africa, 91).
Es wäre außerdem hilfreich, wenn ein einfacher Katechismus in der Volkssprache ausgearbeitet und verbreitet würde. Ebenso könnten geeignete Texte in den Ortssprachen erarbeitet und verteilt werden, um Jesus all jenen Menschen vorzustellen, die nicht mit der christlichen Botschaft vertraut sind, und sie wären überdies als Hilfsmittel im interreligiösen Dialog einsetzbar. Das wäre ganz besonders nützlich in Gegenden, die nicht dem islamischen Gesetz unterworfen sind, beispielsweise in der Bundeshauptstadt Khartum. Auch in diesem Zusammenhang möchte ich euch ermutigen, eure Bemühungen zur Gründung einer Katholischen Universität in Khartum wiederaufzunehmen. Eine solche Einrichtung würde es der unschätzbaren Tätigkeit der Kirche im Grund- und Mittelschulbereich ermöglichen, sich auch auf die Hochschulausbildung auszuwirken. Eine Katholische Universität wäre für euch überdies eine bedeutende Stütze bei der Erfüllung eurer Aufgabe, dafür zu sorgen, daß adäquat ausgebildete Lehrer für den christlichen Unterricht in den öffentlichen Schulen zur Verfügung stehen.
4. Wenden wir uns nun denen zu, die euch in eurem Hirtenamt am nächsten stehen. Ich fordere euch nachdrücklich auf, euren Priestern mit besonderer Liebe zu begegnen und sie als wertvolle Mitarbeiter und Freunde anzusehen (vgl. Christus Dominus, 16). Bei ihrer Ausbildung sollen sie darauf vorbereitet werden, alle irdischen Ambitionen außer acht zu lassen, um »in persona Christi« zu handeln. Sie sollen von materiellen Dingen Abstand nehmen und sich durch die vollständige Hingabe im Zölibat dem Dienst an den Mitmenschen widmen. Anstoßerregende Verhaltensweisen muß man in jedem Falle untersuchen, man muß sich mit ihnen auseinandersetzen und sie berichtigen. Mit eurer Freundschaft und brüderlichen Unterstützung, wie auch mit der ihrer Brüder im Priesteramt, wird es für eure Priester leichter sein, sich in Keuschheit und Einfachheit voll und ganz ihrem Dienstamt hinzugeben.
Selbstverständlich müssen bei den künftigen Priestern die Verhaltensweisen und Veranlagungen eines echten Hirten schon lange vor der Weihe entfaltet werden. Das ist das Ziel der menschlichen, spirituellen, intellektuellen und seelsorglichen Ausbildung in den Seminaren. Die Leitlinien in meinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Pastores dabo vobis werden sich bei der Bewertung der Kandidaten und der Verbesserung ihrer Ausbildung als wertvoll erweisen. Zugleich sollen Maßnahmen ergriffen werden, sicherzustellen, daß eine ordentliche priesterliche Ausbildung auch nach der Weihe – besonders während der ersten Amtsjahre – fortgesetzt wird.
Im Glaubensleben eurer Gemeinden spielen die Ordens- und Missionsgemeinschaften nach wie vor eine entscheidende Rolle. Unter Achtung der den Ordensgemeinschaften übertragenen, berechtigten inneren Autonomie soll der Bischof ihnen im Rahmen der Ortskirche helfen bei der Erfüllung ihrer Pflicht, die Liebe Gottes zu seinem Volk zu bezeugen. Als Hirten der Herde Christi sollt ihr auf einer sorgfältigen Überprüfung der Eignung aller Kandidaten zum Ordensleben bestehen und den Ordensoberen beistehen, damit den Kandidaten – sowohl vor als auch nach den Gelübden – eine solide spirituelle und intellektuelle Ausbildung vermittelt werde.
5. Bei der Erfüllung eurer vielfältigen Pflichten sollt ihr gemeinsam mit euren Priestern stets den menschlichen und geistigen Bedürfnissen der euch anvertrauten Bevölkerung besondere Beachtung schenken. Zeit und Ressourcen sollten nie für Strukturen auf Diözesan- oder Pfarrebene oder für Entwicklungsprojekte ausgegeben werden, wenn dies auf Kosten der Menschen geht. Auch dürfen solche Strukturen oder Projekte einen persönlichen Kontakt mit all jenen, denen wir zu dienen von Gott berufen sind, nicht behindern. Gerechtigkeit und Transparenz sollten die unerläßlichen Merkmale aller finanziellen Angelegenheiten sein, und es muß alles getan werden, daß die Beiträge auch tatsächlich für die vorgesehenen Zwecke verwendet werden. Die vorrangige Sorge muß in jedem Fall der seelsorgliche Auftrag der Kirche sein und die Pflicht ihrer Amtsträger, »nicht sich dienen zu lassen, sondern zu dienen« (vgl. Mt 20,28).
Die Begriffe »Dienst« und »Solidarität« können auch viel zur Förderung einer besseren ökumenischen und interreligiösen Zusammenarbeit tun. Eine spezifische Initiative, die erheblich zum Fortschritt auf diesem Gebiet beitragen könnte, ist die Errichtung eines Büros für die Koordinierung der vielfältigen Programme zur Unterstützung und humanitären Hilfeleistung in den verschiedenen Regionen des Landes. Eine solche Koordinierung wäre ohne Zweifel dienlich, um die Effizienz dieser Programme zu mehren; ebenfalls könnte sie sich als hilfreich erweisen bei der Schaffung von Kontakten für die Ausstellung von staatlichen Genehmigungen, die für die Einreise in bestimmte Gebiete nötig sind. Die Katholische Bischofskonferenz des Sudan könnte ein solches Koordinierungsbüro aktiv unterstützen und fördern. Nach dem Beispiel der schon bestehenden Vereinbarung mit Mitgliedern der Anglikanischen Gemeinschaft im Südsudan könnte das Büro den Vertretern anderer christlicher Konfessionen und anderer Religionen – einschließlich des Islam – offenstehen. Durch die gemeinsame Arbeit auf den Gebieten des Erziehungswesens und der humanitären Hilfe würde auf diese Weise auch eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens gefördert.
6. Liebe Brüder im Bischofsamt! Meine heutigen Worte an euch seien euch eine Ermutigung im Herrn. Mir sind eure täglichen Mühen bewußt und auch die großen Schwierigkeiten und Leiden, die euer Volk noch immer ertragen muß. Euch alle versichere ich erneut meiner Gebete und meiner Solidarität. Mit euch allen bitte ich den Gott des Friedens inständig, den gegenwärtigen Dialog- und Verhandlungsprozeß zu einem guten Gelingen zu führen, damit im Sudan erneut Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung herrschen mögen. Euch und eure Diözesen empfehle ich der liebevollen Fürsorge Marias, der Königin der Apostel, sowie der himmlischen Fürsprache der hll. Josephine Bakhita und Daniel Comboni. In der gegenwärtigen Adventszeit, in der wir uns auf die Feier der Geburt unseres Erlösers vorbereiten, möget ihr wie auch die Priester, Ordensleute und Laiengläubigen eurer Ortskirchen in der Hoffnung gefestigt werden, die sich aus der »Verkündigung einer großen Freude« in Betlehem ergibt. Euch allen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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