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 BOTSCHAFT VON JOHANNES PAUL II.
AN DEN ORDEN DER MINDERBRÜDER ANLÄßLICH DES ORDENTLICHEN GENERALKAPITELS
IN "SANTA MARIA DEGLI ANGELI" IN ASSISI

 

An den Ehrwürdigen Pater
GIACOMO BINI
Generalminister der Minderbrüder

1. Mit Freude entbiete ich Ihnen, Ehrwürdiger Pater, und dem gesamten Orden der Minderbrüder meine herzlichen Glück- und Segenswünsche anläßlich des Ordentlichen Generalkapitels, das in der Stadt des hl. Franziskus und der hl. Klara einberufen wurde. Es findet in der »Portiunkula« statt, was das freudige Andenken an die Ursprünge des Ordens belebt, der unter dem Blick der heiligen Gottesmutter von den Engeln entstanden ist, die Ihr unter dem Titel »Immaculata« als Eure besondere Schutzpatronin verehrt.

Das von der Ordensregel vorgeschriebene »Pfingstkapitel« (vgl. Nr. VIII: FF 26) verdeutlicht die grundlegende Rolle, die der hl. Franz dem Heiligen Geist zuerkannte, den er gerne als »Generalminister« des Ordens bezeichnete (vgl. Celano, Vita seconda, CXLV, 193: FF 779). Der Heilige Geist läutert, erleuchtet und entflammt die Herzen mit dem Feuer der Liebe und führt sie zum Vater auf den Spuren des Herrn Jesus (vgl. Brief an die Brüder, VI, 62–63: FF 233).

Bei diesem bedeutsamen Anlaß möchte ich Eurer Ordensfamilie erneut für den Dienst an der Kirche danken, den sie nunmehr seit vielen Jahrhunderten leistet, indem sie das von Franz von Assisi und seiner Gefährtin Klara begonnene Werk weiterführt. Ferner möchte ich diese Gelegenheit wahrnehmen, um den Mitgliedern des Generalkapitels und, durch sie, allen Minderbrüdern, einige nützliche Gedanken für eine gemeinsame Überprüfung des bisher zurückgelegten Wegs und ein wirksameres apostolisches Handeln in der Welt von heute darzulegen.

2. Zum Abschluß des Großen Jubiläums des Jahres 2000 habe ich durch das Apostolische Schreiben Novo millennio ineunte der gesamten Christenheit die spirituellen Prioritäten des dritten Jahrtausends aufzeigen wollen und ohne Umschweife darauf hingewiesen, daß die Perspektive, in die der pastorale Weg eingebettet ist, »Heiligkeit« heißt (Nr. 30). Ich betonte, daß in jedem Programm zur Evangelisierung an den »Vorrang der Gnade…, den Primat Christi und im Verhältnis zu ihm an den Primat des inneren Lebens und der Heiligkeit« erinnert werden muß (Nr. 38). Überdies sind die Institute geweihten Lebens aufgerufen, eine besondere Rolle zu spielen, denn ihre spezifische Mission ist das prophetische Zeugnis für das Reich Gottes, was das unablässige Streben nach Heiligkeit erfordert. So wird das besser verständlich, was im Nachsynodalen Schreiben Vita consecrata zu lesen ist, nämlich, daß »ein erneuertes Engagement der Personen des geweihten Lebens zur Heiligkeit heute notwendiger denn je ist, auch um das Streben jedes Christen nach Vollkommenheit zu fördern und zu unterstützen« (vgl. Nr. 39).

Wenn auch »die Wege der Heiligkeit vielfältig und der Berufung eines jeden angepaßt sind« (Novo millennio ineunte, 31), so ist in der Regel und in den Konstitutionen Eures Ordens »ein Weg der Nachfolge enthalten […], der von einem eigenen, von der Kirche beglaubigten Charisma gekennzeichnet ist« (Vita consecrata, 37). Dieser Weg ist von vielen Eurer Mitbrüder, heiligen und seligen Franziskanern, eingeschlagen worden, die mit heroischer Treue bis in den Tod die am Tag ihrer Gelübde freiwillig übernommenen Verpflichtungen eingehalten haben. Von großem Nutzen kann es für Euch sein, sich an diesen Lehrern und Vorbildern in der Heiligkeit zu orientieren, sich an ihrem Beispiel zu inspirieren, sie besser kennenzulernen, demütig um Fürbitte anzurufen und sich an ihren jeweiligen liturgischen Gedenktagen ihrer zu erinnern.

3. Das Generalkapitel findet in Assisi statt, wo unablässig jene Stimme widerhallt, die dreimal vom Kreuz herab zu Franziskus sagte: »Gehe hin und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz verfallen ist!« (Bonaventura, Legenda maior, II, 1: FF 1038).

Auch in diesen von grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen geprägten letzten Jahren ist der Orden angeregt worden, diese einzigartige Berufung zu aktualisieren und ihre Bedeutung zu vertiefen, um ihr Charisma konsequent leben zu können. Diese Reflexion hat eure Ordensfamilie bestärkt, jenen missionarischen und kirchlichen Dienst deutlicher herauszustellen, den Christus dem jungen Franziskus anvertraut hat und der später von Papst Innozenz III. mit den Worten: »Geht mit Gott, Brüder, und predigt allen die Buße, so wie er es euch eingegeben hat« (vgl. Celano, Vita prima, XIII, 33: FF 375).

Wichtig ist, daß der Orden den ihm eigenen missionarischen Stil bewahrt, der geprägt ist von Armut und brüderlichem Leben, beseelt von kontemplativem Geist und aufrichtigem Streben nach Gerechtigkeit, Frieden und Achtung vor der Schöpfung. Unerläßlich ist auch, daß jedes seiner Mitglieder und alle Bruderschaften am Aufbau der einen Kirche Christi teilhaben, in Übereinstimmung und voller Gemeinschaft mit den Hirten der lokalen christlichen Gemeinden.

In Gemeinschaft mit den Diözesanbischöfen wird Euer Orden dank eines erneuerten Geistes des Gehorsams und eines aufrichtigen Strebens nach kirchlicher Gemeinschaft »für die Festigung und Ausbreitung des Reiches Christi arbeiten, um die Botschaft des Evangeliums überallhin, auch in die entferntesten Gegenden, zu bringen« (vgl. Vita consecrata, 78).

4. Möge Euer einziges Ziel bei jeder apostolischen Wahl und Entscheidung die »salus animarum« sein, so wie dies bereits für den Poverello von Assisi galt, der stets einzig und allein beseelt war vom eifrigem Einsatz für das Heil der Brüder. Da »der eingeborene Sohn Gottes es auf sich nahm, sich ans Kreuz schlagen zu lassen für die Seelen«, »hätte er sich nicht als Freund Christi ansehen können, wenn er nicht jene Seelen geliebt hätte, die auch Er liebte« (vgl. Celano, Vita secunda, CXXXI. 172: FF 758), und »er entschied sich dafür, für denjenigen zu leben, der für alle gestorben war, in der Gewißheit, von Gott gesandt zu sein, um jene Seelen zu gewinnen, die der Teufel zu entreißen versucht hatte« (vgl. Celano, Vita prima, XIV, 35: FF 381).

Die »salus animarum« drängte ihn, auch die Würde und die Rechte der Person zu fördern, die »dem Ebenbild des geliebten Sohnes im Leib und seinem Gleichnis im Geist entspricht« (vgl. Franz von Assisi, Ermahnung V: FF 153), wie auch für die Wahrung der Schöpfung einzutreten, denn alles ist durch und auf Christus hin geschaffen worden, in ihm hat alles Bestand (vgl. Kol 1,16–17). Das Leben des hl. Franziskus zeichnet sich vor allem durch eine ständige spirituelle Spannung aus, die ihn veranlaßte, alles im Licht der »endgültigen Seligkeit bei Gott« zu sehen und zu verstehen (Vita consecrata, 33). Auf dieser seiner Liebe zu Gott gründete der brennende Eifer, »den Gläubigen Laster und Tugenden, Strafe und Herrlichkeit« zu predigen (Regel, IX: FF 99). Möge dies, liebe Minderbrüder, Euer apostolischer »Stil« in der Kirche bleiben. Ich hoffe, daß bei diesem Kapitel angemessene Weisungen erarbeitet werden, um diesen Stil immer besser den Herausforderungen des modernen Zeitalters anpassen zu können.

5. »Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter« (Mt 9,37). Angesichts des umfangreichen Wirkungsfeldes und der geringen Zahl verfügbarer Arbeiter kommen uns diese Worte Christi in den Sinn. Auch im Hinblick auf Euren Orden scheint es wenig realistisch zu sein, von missionarischem Elan zu sprechen, in Anbetracht der in diesen Jahren zu verzeichnenden abnehmenden Zahl seiner Mitglieder und des ansteigenden Durchschnittsalters. Das soll Euch aber nicht entmutigen, sondern vielmehr bestärken, einerseits das Gebet zu intensivieren, um den Herrn der Ernte zu bitten, »Arbeiter für seine Ernte auszusenden« (Mt 9,38), und andererseits nach neuen Pastoral- und Berufungsstrategien zu suchen.

Warum das Vertrauen verlieren, wenn Jesus selbst Franz von Assisi zugesichert hat, daß Er »der oberste Verantwortliche« des Ordens ist? Hat er ihm denn etwa nicht versprochen: »Ich habe gerufen, ich erhalte und ich weide und an Stelle derer, die verlorengehen, werde ich andere wachsen lassen. Und wenn nichts wächst, werde ich es wachsen lassen« (vgl. Bonaventura, Legenda maior, VIII, 3: FF 1140)? Möget ihr in diesem Bewußtsein die Berufungen mit Eurem Gebet und Eurem Lebenszeugnis fördern und begleiten, im Vertrauen auf jenen »Gott, der die Kinder Abrahams aus Steinen erwecken und den unfruchtbaren Schoß fruchtbar machen kann« (vgl. Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens, Neubeginn in Christus, 16). Euer Orden hat gut daran getan, sich zusammen mit anderen Instituten franziskanischen Geistes und den Diözesen intensiv der Berufungspastoral und der Ausbildung der Ordensanwärter zu widmen.

Groß ist die Anziehungskraft, die Franz und Klara von Assisi auf die Jugend ausüben, was wir nutzen müssen, um auch in den Generationen des dritten Jahrtausends »ein aufmerksames Nachdenken über die wesentlichen Werte des Lebens zu wecken. Diese finden ihre entscheidende Zusammenschau in der Antwort, die jeder auf den Ruf Gottes geben soll. Dies gilt besonders dann, wenn die Antwort es erfordert, sich selbst ganz hinzugeben und die eigenen Energien für das Reich Gottes einzusetzen« (vgl. Novo millennio ineunte, 46).

Die von den vier Generalministern der franziskanischen Ordensfamilien angesetzten Feierlichkeiten zum 750. Jahrestag des Todes der hl. Klara können in dieser Hinsicht eine durchaus geeignete Gelegenheit sein, um die Berufungen zum kontemplativen, apostolischen, eremitischen und weltlichen Leben der Franziskanerund Klarissenorden noch mehr aufzuwerten.

6. Möget Ihr selbst leidenschaftliche Männer Christi und des Evangeliums sein, Männer des unablässigen Gebets und freudige Zeugen einer radikalen Entscheidung für das Reich Gottes. Euer Einsatz wird um so wirksamer sein, je mehr Ihr Euch darum bemüht, Zeugnis zu geben von den bedeutsamen Zeichen »der Vorrangstellung, die Gott und die Werte des Evangeliums im christlichen Leben haben« (Vita consecrata, 84).

Der traditionelle Habit, den Ihr für gewöhnlich tragt, erinnert unmittelbar an den Euch auszeichnenden Lebensstil der Buße und Armut, der Duldsamkeit und Aufnahmebereitschaft, der Einfachheit und der vollkommenen Hingabe an Gott. Haltet fest an dem Euch eigenen Charisma, und öffnet Euch gleichzeitig weise und besonnen den Anforderungen des heutigen Apostolats.

Das Licht und die Kraft des Heiligen Geistes werden es Euch ermöglichen, Christus »in Liebe und mit reinem und aufrichtigem Gewissen in Leib und Herz« zu tragen und ihn »durch die heiligen Werke« ins Leben zu rufen, »die den anderen als Vorbild erstrahlen sollen« (vgl. Franz von Assisi, Brief an die Gläubigen, X, 53: FF 200).

Der hl. Franz, die hl. Klara und all Eure Schutzheiligen mögen die Arbeit Eures Kapitels begleiten und für das Wohl des Ordens und der Kirche fruchtbar machen. Die Jungfrau Maria, »Stern der Neuevangelisierung«, helfe Euch, jenem missionarischen Auftrag treu zu bleiben, zu dem Franz von Assisi Euch immerfort mit dem schönen Wort aufruft: »Vertraue auf den Herrn, und er wird für dich sorgen« (vgl. Celano, Vita prima, XII, 29: FF 367).

Wendet Euch jeden Tag mit dem Rosenkranzgebet, diesem zutiefst evangeliumsgemäßen und franziskanischen Gebet, an die »Jungfrau, die Kirche geworden ist« (vgl. Franz von Assisi, Gruß an die heilige Jungfrau Maria: FF 259), an die Königin der Apostel, an die »Fürsprecherin des Ordens« (vgl. Celano, Vita secunda, CL, 198: FF 786).

Mit diesen Empfindungen versichere ich einen jeden meines ständigen Gebetes zum Herrn und erteile Ihnen, Ehrwürdiger Pater, den Kapitularen und den in aller Welt verstreuten Mitbrüdern meinen besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 10. Mai 2003

 

IOANNES PAULUS II

 



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