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SCHREIBEN VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE PRIESTER ZUM GRÜNDONNERSTAG 1996

 

Liebe Brüder im Priesteramt!

»Sehen wir doch auf unsere Berufung, Brüder!« (vgl. 1 Kor 1, 26). Das Priestertum ist eine Berufung, eine ganz besondere Berufung: »Und keiner nimmt sich eigenmächtig diese Würde, sondern er wird von Gott berufen« (Hebr 5, 4). Der Brief an die Hebräer nimmt Bezug auf das Priestertum des Alten Testamentes, um das Geheimnis des Priestertums Christi verständlich zu machen: »So hat auch Christus sich nicht selbst die Würde eines Hohenpriesters verliehen, sondern der, der zu ihm gesprochen hat: ... Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks« (5, 5-6).

Die einzigartige Berufung Christi zum Priestertum

1. Christus, der Sohn, eines Wesens mit dem Vater, wird zum Priester des Neuen Bundes nach der Ordnung Melchisedeks eingesetzt: auch er wird also zum Priestertum berufen. Es ist der Vater, der den eigenen, von ihm in einem Akt ewiger Liebe gezeugten Sohn »zum Eintritt in die Welt« (vgl. Hebr 10, 5) und zur Menschwerdung »beruft«. Er will, daß sein eingeborener Sohn durch seine Menschwerdung »Priester auf ewig« wird: der einzige Priester des Neuen und Ewigen Bundes. In der Berufung des Sohnes zum Priestertum zeigt sich die Tiefe des trinitarischen Geheimnisses. Denn nur der Sohn, das Wort des Vaters, in dem und durch das alles geschaffen wurde, kann dem Vater die Schöpfung unaufhörlich als Opfer darbringen, indem er bekräftigt, daß alles Geschaffene vom Vater kommt und eine Opfergabe zum Lob des Schöpfers werden soll. So findet also das Geheimnis des Priestertums seinen Ursprung in der Dreifaltigkeit und ist zugleich eine Folge der Menschwerdung. Indem er Mensch wird, wird der eingeborene und ewige Sohn des Vaters von einer Frau geboren, tritt in die Schöpfungsordnung ein und wird damit Priester, der einzige und ewige Hohepriester.

Der Verfasser des Briefes an die Hebräer betont, daß das Priestertum Christi mit dem Kreuzesopfer verbunden ist: »Christus aber ist gekommen als Hoherpriester der künftigen Güter; und durch das erhabenere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von dieser Welt ist, ist er ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen... mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt« (Hebr 9, 11-12). Das Priestertum Christi wurzelt im Erlösungswerk. Christus ist Priester des eigenen Opfers: »Er hat sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer dargebracht« (Hebr 9, 14). Das Priestertum des Neuen Bundes, zu dem wir in der Kirche berufen sind, bedeutet deshalb Teilhabe an diesem einzigartigen Priestertum Christi.

Allgemeines Priestertum und Amtspriestertum

2. Das II. Vatikanische Konzil stellt den Begriff »Berufung« in seiner ganzen Breite dar. Denn es spricht von Berufung des Menschen, von christlicher Berufung und von Berufung zum Ehe- und Familienleben. In diesem Kontext stellt das Priestertum eine der Berufungen dar, eine der möglichen Formen der Verwirklichung der Nachfolge Christi, der im Evangelium mehrmals die Einladung ausspricht: »Folge mir nach!«.

In der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium lehrt das Konzil, daß alle Getauften am Priestertum Christi teilhaben; aber gleichzeitig unterscheidet es klar zwischen dem allen Gläubigen gemeinsamen Priestertum des Volkes Gottes und dem hierarchischen Priestertum, das heißt dem Amtspriestertum. Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einen klärenden Abschnitt des genannten Konzilsdokumentes ganz wiederzugeben: »Christus der Herr, als Hoherpriester aus den Menschen genommen (vgl. Hebr 5, 1-5), hat das neue Volk "zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht" (Offb 1, 6; vgl. 5, 9-10). Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat (vgl. 1 Petr 2, 4-10). So sollen alle Jünger Christi ausharren im Gebet und gemeinsam Gott loben (vgl. Apg 2, 42-47) und sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen (vgl. Röm 12, 1); überall auf Erden sollen sie für Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen von der Hoffnung auf das ewige Leben, die in ihnen ist (vgl. 1 Petr 3, 15). Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich aber dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe«. (1)

Das Amtspriestertum dient dem gemeinsamen Priestertum der Gläubigen. In der Tat, wenn der Priester Eucharistie feiert und die Sakramente spendet, bringt er den Gläubigen ihre besondere Teilhabe am Priestertum Christi zum Bewußtsein.

Die persönliche Berufung zum Priestertum

3. Es zeigt sich also deutlich, daß die Berufung zum Priestertum im weiteren Bereich der christlichen Berufung eine Besonderheit darstellt. Und das stimmt im allgemeinen mit der persönlichen Erfahrung von uns Priestern überein: Wir wurden getauft und gefirmt; wir nahmen an der Katechese, an den liturgischen Feiern und vor allem an der Eucharistiefeier teil. Unsere Berufung zum Priestertum entfaltete sich im Kontext des christlichen Lebens.

Dennoch hat jede Berufung zum Priestertum ihre eigene Geschichte, die sich auf ganz bestimmte Augenblicke im Leben des einzelnen bezieht. Als Christus die Apostel berief, sagte er zu jedem: »Folge mir nach!« (Mt 4, 19; 9, 9; Mk 1, 17: 2, 14; Lk 5, 27; Joh 1, 43; 21; 19). Seit zweitausend Jahren wiederholt er diese Einladung an viele, insbesondere an junge Menschen. Manchmal ruft er ganz überraschend, doch es handelt sich nie um einen völlig unerwarteten Ruf. Christi Einladung zur Nachfolge wird im allgemeinen über eine lange Zeitspanne hinweg vorbereitet. Es stellt keine Überraschung dar, wenn die schon im Bewußtsein des Jungen vorhandene Einladung wieder spürbar wird, die vielleicht durch die Unschlüssigkeit oder die Verlockung, andere Wege zu gehen, verdrängt worden war. Man wundert sich nicht mehr darüber, daß gerade diese Berufung allen anderen gegenüber vorgezogen wird, und der Jugendliche kann den ihm von Christus gezeigten Weg einschlagen: er verläßt die Familie und fängt an, sich ganz speziell auf das Priestertum vorzubereiten.

Es gibt eine Typologie der Berufung, die ich jetzt beschreiben möchte. Wir finden ihren Entwurf im Neuen Testament. Mit seinem Ruf »Folge mir nach!« wendet sich Christus an verschiedene Menschen: Unter ihnen sind Fischer wie Petrus oder die Söhne des Zebedäus (vgl. Mt 4, 19. 22), aber da ist auch Levi, ein Zöllner, später Matthäus genannt. In Israel galt der Beruf des Steuereinziehers als sündhaft und verachtenswert. Und doch ruft Christus gerade einen Zöllner in die Gruppe der Apostel (vgl. Mt 9, 9). Höchstes Staunen erweckt gewiß die Berufung des Saulus von Tarsus (vgl. Apg 9, 1-19), des bekannten und gefürchteten Christenverfolgers, der den Namen Jesu haßte. Gerade dieser Pharisäer wird auf dem Weg nach Damaskus aufgerufen: aus ihm will der Herr »ein auserwähltes Werkzeug« machen, das dazu bestimmt ist, viel für seinen Namen zu leiden (vgl. Apg 9, 15-16).

Jeder von uns Priestern erkennt sich wieder in der ursprünglichen Typologie der Berufung im Evangelium. Gleichzeitig weiß er, daß die Geschichte seiner Berufung, der lange Weg, auf dem Christus ihn während seiner ganzen Existenz führt, in gewissem Sinne unwiederholbar ist.

Liebe Brüder im Priesteramt, wir müssen oft im Gebet verweilen und das Geheimnis unserer Berufung betrachten mit dem Herzen voller Staunen und Dankbarkeit gegenüber Gott für dieses unvergleichliche Geschenk.

Die priesterliche Berufung der Apostel

4. Das uns von den Evangelien überlieferte Bild der Berufung ist besonders mit der Gestalt des Fischers verbunden. Jesus rief einige Fischer von Galiläa zu sich, unter ihnen Simon Petrus, und deutete die apostolische Sendung mit einem Hinweis auf ihre Erwerbstätigkeit. Als Petrus nach dem wunderbaren Fischfang Christus zu Füßen fiel und sagte: »Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder«, bekam er zur Antwort: »Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen« (Lk 5, B. 10).

Petrus und die anderen Apostel lebten mit Jesus zusammen und gingen mit ihm seinen Sendungsweg. Sie hörten die Worte, die er sprach, bewunderten seine Werke und staunten über die Wunder, die er wirkte. Sie wußten, daß Jesus der Messias war, von Gott gesandt, um Israel und der ganzen Menschheit den Weg des Heiles zu zeigen. Aber ihr Glaube mußte durch das geheimnisvolle Heilsgeschehen hindurch, das er mehrmals angekündigt hatte: »Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert werden, und sie werden ihn töten; aber am dritten Tag wird er auferstehen« (Mt 17, 22-23). All das wurde durch seinen Tod und seine Auferstehung Wirklichkeit in den Tagen, die die Liturgie das heilige Triduum nennt.

Gerade während dieses Ostergeschehens offenbarte Christus den Aposteln, daß es ihre Berufung war, wie er und in ihm Priester zu werden. Es geschah, als er im Abendmahlssaal am Vorabend seines Kreuzestodes zuerst Brot und dann den Kelch des Weines nahm und über sie die Wandlungsworte sprach. Brot und Wein wurden sein Leib und sein Blut und sind als Opfer für die ganze Menschheit dargebracht worden. Jesus beendete diese Handlung, indem er den Aposteln gebot: »Tut dies... zu meinem Gedächtnis« (1 Kor 11, 25). Mit diesen Worten vertraute er ihnen das eigene Opfer an und gab es durch ihre Hände an die Kirche weiter für alle Zeiten. Indem er den Aposteln das Gedächtnis seines Opfertodes anvertraute, machte Christus sie auch seines Priestertums teilhaftig. Denn es besteht eine enge, unauflösliche Verbindung zwischen Opfergabe und Priester: derjenige, der das Opfer Christi darbringt, muß am Priestertum Christi teilhaben. Die Berufung zum Priestertum ist deshalb die Berufung, in der Person Christi kraft der Teilhabe an seinem Priestertum sein Opfer darzubringen. Wir haben also von den Aposteln den priesterlichen Dienst als Erbe übernommen.

Der Priester verwirklicht sich selbst in einer immer neuen, wachsamen Antwort

5. »Der Meister ist da und läßt dich rufen« (Joh 11, 28). Diese Worte kann man im Hinblick auf die priesterliche Berufung Lesen. Gottes Ruf steht am Beginn des Weges, den der Mensch in seinem Leben gehen muß: Das ist die vorrangige und grundlegende Dimension der Berufung, aber nicht die einzige. Mit der Priesterweihe beginnt in der Tat ein Weg, der bis zum Tod dauert und der zur Gänze ein Weg der »Berufung« ist. Der Herr beruft die Priester zu verschiedenen Aufgaben und Diensten, die sich aus dieser Berufung ableiten. Aber es gibt noch eine tiefere Schicht. Außer den Aufgaben, die Ausdruck des priesterlichen Dienstes sind, bleibt immer im tiefsten Grund die Wirklichkeit selbst, »Priester zu sein«. Die Lebensumstände und -situationen fordern den Priester unaufhörlich dazu auf, seine ursprüngliche Wahl zu bekräftigen und immer wieder von neuem auf Gottes Ruf zu antworten. Unser priesterliches Leben ist wie jede wahrhaft christliche Existenz eine Aufeinanderfolge von Antworten auf Gott, der ruft.

Kennzeichnend dafür ist das Gleichnis der Knechte, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten. Weil er sich verspätet, müssen sie wachen, um bei seiner Ankunft wachend angetroffen zu werden (vgl. Lk 12, 35-40). Könnte diese dem Evangelium gemäße Wachsamkeit nicht eine andere Deutung der Antwort auf die Berufung sein? Man gibt sie tatsächlich dank eines wachen Verantwortungsbewußtseins. Christus betont: »Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt ... Und kommt er erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach - selig sind sie« (Lk 12, 37-38).

Die Priester der lateinischen Kirche verpflichten sich zum Leben im Zölibat. Wenn die Berufung Wachsamkeit ist, dann hat diese sicher den bedeutungsvollen Aspekt lebenslanger Treue zu dieser Verpflichtung. Aber der Zölibat stellt nur eine der Dimensionen der Berufung dar, die während des ganzen Lebens im Kontext eines umfassenden Einsatzes bei den vielfältigen Aufgaben verwirklicht wird, die sich aus dem Priesteramt ergeben.

Die Berufung ist keine statische Wirklichkeit: Sie hat eine eigene Dynamik. Liebe Brüder im Priesteramt, wir bekräftigen und verwirklichen unsere Berufung immer mehr in dem Maß, in dem wir das »mysterium« des Bundes Gottes mit dem Menschen und insbesondere das »mysterium« der Eucharistie treu leben; wir verwirklichen sie in dem Maß, in dem wir das Priestertum und den priesterlichen Dienst, den zu versehen wir berufen sind, immer inniger lieben. Wir entdecken dann, daß wir durch das Priestersein uns selbst »verwirklichen« , indem wir die Glaubwürdigkeit unserer Berufung gemäß dem einmaligen und ewigen Plan, den Gott für jeden von uns vorgesehen hat, bekräftigen. Dieser göttliche Plan wird Wirklichkeit in dem Maß, in dem er von uns als unser Lebensentwurf und -programm erkannt und angenommen wird.

Das Priestertum als "Officium Laudis"

6. Gloria Dei vivens homo. Die Worte des hl. Irenäus (2) verbinden aufs engste die Ehre Gottes mit der Selbstverwirklichung des Menschen. »Non nobis, Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam« (Ps 115, 1) : wenn wir diese Worte des Psalmisten oft wiederholen, spüren wir, daß das »Sich-selbst-Verwirklichen« im Leben einen transzendentalen Bezug und Zweck hat, die in dem Begriff »Ehre Gottes« enthalten sind: unser Leben ist dazu berufen, officium laudis zu werden.

Die priesterliche Berufung ist ein besonderer Ruf zum »officium laudis«. Wenn der Priester die Eucharistie feiert, wenn er im Bußsakrament die Vergebung Gottes vermittelt oder die anderen Sakramente spendet, gibt er Gott immer die Ehre. Deshalb ist es notwendig, daß der Priester die Ehre des lebendigen Gottes liebt und daß er zusammen mit der Gemeinschaft der Gläubigen die göttliche Ehre verkündet, die in der Schöpfung und in der Erlösung aufstrahlt. Der Priester ist berufen, sich in besonderer Weise mit Christus, dem ewigen Wort und wahren Menschen, dem Erlöser der Welt, zu vereinen: denn in der Erlösung offenbart sich die Fülle der Ehre, die die Menschheit und die gesamte Schöpfung dem Vater in Jesus Christus erweisen.

Das Officium laudis umfaßt nicht nur die Worte des Psalters, die liturgischen Gesänge, die Lieder des Volkes Gottes, die in so vielen verschiedenen Sprachen zum Schöpfer emporsteigen; das officium laudis ist vor allem die unaufhörliche Entdeckung des Wahren, des Guten und des Schönen, das die Welt vom Schöpfer als Geschenk empfängt, und es ist zugleich Entdeckung des Sinnes der menschlichen Existenz. Das Geheimnis der Erlösung hat diesen Sinn ganz erfüllt und geoffenbart, indem es das Leben des Menschen dem Leben Gottes angenähert hat. Die Erlösung, die sich endgültig im Ostergeheimnis durch das Leiden, den Tod und die Auferstehung Christi verwirklicht hat, offenbart nicht nur die transzendente Heiligkeit Gottes, sondern macht - wie das II. Vatikanische Konzil lehrt - »dem Menschen den Menschen selbst voll kund«. (3)

Die Ehre Gottes ist in die Ordnung der Schöpfung und der Erlösung eingeschrieben; der Priester ist berufen, dieses Geheimnis bis zum Außersten zu leben, um an dem großen officium laudis teilzunehmen, das sich im Universum unaufhörlich vollzieht. Nur wenn er die Wahrheit der Erlösung der Welt und des Menschen zutiefst lebt, kann er mit den Leiden und den Schwierigkeiten der Einzelpersonen und der Familien umgehen sowie ohne Furcht auch der Realität des Bösen und der Sünde entgegentreten und sie mit den erforderlichen geistlichen Kräften bewältigen.

Der Priester geht mit den Gläubigen der Fülle des Lebens in Gott entgegen

7. Gloria Dei vivens homo. Der Priester, dessen Berufung es ist, Gott die Ehre zu geben, ist zugleich tief geprägt von der Wahrheit, die im zweiten Teil des Satzes des hl. Irenäus enthalten ist: vivens homo. Die Liebe zur Ehre Gottes entfremdet den Priester keineswegs dem Leben und all dem, was dieses Leben ausmacht; im Gegenteil, seine Berufung leitet ihn an, den vollen Sinn zu entdecken.

Was heißt »vivens homo?« Es bedeutet den Menschen in der Fülle seiner Wahrheit: den von Gott nach seinem Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen; den Menschen, dem Gott die Erde anvertraut hat, damit er über sie herrscht; den Menschen, der seiner Natur und der Gnade nach mit vielfältigem Reichtum ausgestattet ist; den Menschen, der von der Knechtschaft der Sünde befreit und zur Würde des Adoptivkindes Gottes erhoben wurde.

Seht den Menschen und die Menschheit, die der Priester vor sich hat, wenn er die göttlichen Geheimnisse feiert: vom Neugeborenen, den die Eltern zur Taufe bringen, bis zu den Kindern und Jugendlichen, die er bei der Katechese oder beim Religionsunterricht trifft. Und dann die jungen Menschen, die in der schwierigsten Phase ihres Lebens ihren Weg, ihre Berufung wählen und sich anschicken, neue Familien zu gründen oder sich dem Reich Gottes zu weihen, indem sie ins Seminar oder in ein Institut des geweihten Lebens eintreten. Der Priester muß den Kontakt mit den jungen Menschen pflegen. In diesem Lebensabschnitt suchen sie oft bei ihm Trost und Rat, Unterstützung durch das Gebet und eine kluge berufliche Begleitung. Auf diese Weise kann der Priester feststellen, inwieweit seine Berufung anderen Menschen gegenüber offen und hilfsbereit ist. In den Jugendlichen, mit denen er Umgang pflegt, begegnet er künftigen Familienvätern und -müttern, künftigen Akademikern oder zumindest Personen, die durch ihre Fähigkeiten zum Aufbau der Gesellschaft von morgen beitragen können. Jede dieser vielfältigen Berufungen geht durch sein Priesterherz, und so offenbart sich wie ein besonderer Weg, auf dem Gott die Personen geleitet und zur Begegnung mit Ihm selbst führt.

Auf diese Weise hat der Priester teil an so vielen Lebensentscheidungen, an Leiden und Freuden, Enttäuschungen und Hoffnungen. In jeder Lage ist es seine Aufgabe, dem Menschen Gott als das letzte Ziel seines persönlichen Lebensschicksals zuzeigen. Der Priester ist derjenige, dem die Menschen ihre innersten Anliegen und ihre manchmal sehr schmerzlichen Geheimnisse anvertrauen. Er wird von den Kranken, den Betagten und den Sterbenden sehnlichst erwartet, denn sie wissen, daß nur er, der am Priestertum Christi teilhat, ihnen auf dem letzten Weg helfen kann, der sie zu Gott führen soll. Der Priester, ein Zeuge Christi, ist Bote der höchsten Berufung des Menschen zum ewigen Leben in Gott. Und während er die Brüder und Schwestern begleitet, bereitet er sich selbst vor: Der Dienst, den er versieht, bietet ihm die Gelegenheit, seine Berufung, Gott die Ehre zu geben, zu vertiefen, um am ewigen Leben teilzuhaben. So geht er dem Tag entgegen, an dem Christus zu ihm sprechen wird: »Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener... nimm teil an der Freude deines Herrn!« (Mt 25, 21).

Das Priesterjubiläum : Zeit der Freude und Danksagung

8. »Seht doch auf eure Berufung, Brüder!« (1 Kor 1, 26). Die Mahnung des Apostels Paulus an die Christen von Korinth hat für uns Priester eine ganz besondere Bedeutung. Wir sollten oft »auf unsere Berufung sehen« und erneut deren Sinn und Größe entdecken, die immer größer sind als wir. Eine besonders günstige Gelegenheit dazu ist der Gründonnerstag, der Gedenktag der Einsetzung der Eucharistie und des Sakramentes der Priesterweihe. Geeignete Gelegenheiten sind auch die Jahrestage der Priesterweihe und vor allem die Priesterjubiläen.

Liebe Brüder im Priesteramt, während ich euch diese Überlegungen mitteile, denke ich an mein goldenes Priesterjubiläum, das in diesem Jahr stattfindet. Ich denke an meine Kollegen im Seminar, die wie ich einen Weg zum Priestertum hinter sich haben, der von der dramatischen Zeit des zweiten Weltkrieges überschattet war. Damals waren die Seminare geschlossen, und die Seminaristen lebten verstreut. Einige von ihnen kamen bei den Kriegshandlungen ums Leben. Das unter diesen Umständen erlangte Priesteramt hatte für uns eine ganz besondere Bedeutung. Im Gedächtnis ist noch der große Augenblick lebendig, als vor 50 Jahren die Versammlung der Gläubigen mit dem »Veni Creator Spiritus« den Heiligen Geist auf uns junge Diakone herabrief, die wir uns in der Mitte des Gotteshauses niedergeworfen hatten, bevor wir durch die Handauflegung des Bischofs die Priesterweihe empfingen. Danken wir dem Heiligen Geist für diese Ausgießung der Gnade, die unsere Existenz gekennzeichnet hat. Und bitten wir weiterhin: »Imple superna gratia, quae tu creasti pectora.«

Liebe Brüder im Priesteramt, ich möchte euch einladen, an meinem Te Deum der Danksagung für das Geschenk der Berufung teilzunehmen. Die Jubiläen sind, wie ihr wißt, wichtige Augenblicke im Leben eines Priesters. Sie stellen gleichsam Meilensteine auf dem Weg unserer Berufung dar. Der biblischen Tradition entsprechend ist das Jubiläum eine Zeit der Freude und der Danksagung. Der Landwirt dankt dem Schöpfer für die Ernte; wir wollen anläßlich unserer Jubiläen dem Ewigen Hirten danken für die Früchte unseres priesterlichen Lebens und für den Dienst an der Kirche und an der Menschheit, der an den einzelnen Orten der Welt unter den verschiedensten Arbeitsbedingungen und in den vielfältigsten Situationen, in die uns die Vorsehung geführt und wo sie uns gewollt hat, geleistet wurde. Wir wissen, daß wir »unnütze Knechte« sind (Lk 17, 10), dennoch danken wir dem Herrn, daß er uns zu seinen Dienern machen wollte.

Wir sind auch den Menschen dankbar: vor allem denen, die uns geholfen haben, zum Priestertum zu gelangen, und denen, die uns die göttliche Vorsehung auf den Weg unserer Berufung gestellt hat. Wir danken allen, zuallererst unseren Eltern, die für uns ein überreiches Geschenk Gottes waren: Welch großen Reichtum an Lehre und gutem Beispiel haben sie uns vermittelt!

Während wir Dank sagen, bitten wir auch Gott und die Mitmenschen um Vergebung für die Fehler und Nachlässigkeiten, die Folge der menschlichen Schwäche sind. Gemäß der Heiligen Schrift sollte das Jubiläum nicht nur eine Danksagung für die Ernte sein: es schloß auch den Nachlaß der Schulden ein. Deshalb bitten wir den barmherzigen Gott, er möge uns die Schuld vergeben, die wir im Laufe des Lebens und unseres priesterlichen Dienstes auf uns geladen haben.

»Seht auf eure Berufung, Brüder!«, mahnt uns der Apostel. Von seinem Wort angeregt, »sehen« wir auf den bisher zurückgelegten Weg, auf dem sich unsere Berufung gekräftigt, vertieft und gefestigt hat. Wir »sehen«, um uns des liebevollen Handelns Gottes in unserem Leben noch stärker bewußt zu werden. Dabei dürfen wir unsere Brüder im Priesteramt nicht vergessen, die nicht auf dem eingeschlagenen Weg ausgeharrt haben. Wir vertrauen sie der Liebe des Vaters an, während wir jeden von ihnen unseres Gebetes versichern.

So wird das »Sehen« unwillkürlich zum Gebet. Mit diesem Ausblick möchte ich euch, liebe Brüder im Priesteramt, einladen, euch meiner Danksagung für das Geschenk der Berufung und des Priestertums anzuschließen.

DANK DIR, GOTT,
FÜR DAS GESCHENK DES PRIESTERTUMS

9. »Te Deum laudamus,
Te Dominum confiternur... «
Gott, wir loben dich und danken dir:
Die ganze Erde betet dich an.
Wir, deine Diener,
verkünden mit der Propheten Stimme
und der Apostel Chor
dich, den Vater und Herrn des Lebens,
jeder Form des Lebens, das nur von dir kommt.

Wir erkennen in dir, Heiligste Dreifaltigkeit,
den Quell und Anfang unserer Berufung:
Du, Vater, hast uns von Ewigkeit her gedacht,
gewollt und geliebt;
du, Sohn, hast uns erwählt und berufen,
an deinem einzigen
und ewigen Priestertum teilzuhaben;
du, Heiliger Geist,
hast uns mit deinen Gaben erfüllt
und uns geweiht durch deine heilige Salbung.
Du, Herr der Zeit und der Geschichte,
hast uns an die Schwelle
des dritten christlichen Jahrtausends geführt,
damit wir Zeugen des Heiles sind,
das du für die ganze Menschheit gewirkt hast.
Wir, die Kirche, die deinen Ruhm verkündet,
bitten dich:
Laß es uns nie an heiligen Priestern fehlen
für den Dienst des Evangeliums;
in jeder Kathedrale
und an jeder Ecke der Erde erklinge feierlich
der Hymnus »Veni Creator Spiritus«.
Komm, Schöpfer Geist!
Komm, um neue Generationen junger Menschen
zu erwecken, die bereit sind,
im Weinberg des Herrn zu arbeiten,
um das Reich Gottes
bis an die Grenzen der Erde auszubreiten.

Und du, Maria, Mutter Christi,
die du uns unter dem Kreuz
mit dem Apostel Johannes
als auserwählte Söhne angenommen hast,
wache weiter über unsere Berufung.
Dir vertrauen wir die Jahre des Dienstes an,
die die Vorsehung uns noch zu leben gewährt.
Sei mit uns und führe uns
auf den Straßen der Welt,
den Männern und Frauen entgegen,
die dein Sohn durch sein Blut erlöst hat.
Hilf uns, bis zum letzten den Willen Jesu zu tun,
der zum Heil des Menschen
von dir geboren wurde.
Christus, du bist unsere Hoffnung!
»In Te, Domine, speravi,
on confundar in aeternum.«

Aus dem Vatikan, am 17. März, dem vierten Fastensonntag des Jahres 1996, dem 18. des Pontifikats.

IOANNES PAULUS PP. II


Anmerkungen

(1) Dogm. Konst. über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 10

(2) Vgl. Adv. Haer., IV, 20, 7; S.Ch. 100/2, 648-649.

(3) Vgl. Past. Konst. über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 22.

 

     

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